“Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ (1. Petrus 4,10).
Letzte Worte oder eine letzte Predigt führen die Versuchung mit sich, zu sagen, was man immer schon sagen wollte, sich aber nie zu sagen traute. Ich werde mir
heute nicht viel Mühe geben, dieser Versuchung zu widerstehen. Deswegen halte ich mich, wenn ich mich richtig erinnere, zum ersten Mal während der letzten sechs Jahre hier in dieser Kirche, nicht
an den vorgeschriebenen Predigttext. Ich habe mich für dieses Wort aus dem ersten Petrusbrief entschieden, weil hier von den Haushaltern die Rede ist. Haushaltern ist etwas anvertraut. Sie
übernehmen Verantwortung dafür. Dabei geht es nicht nur um das Vermögen und die Gebäude. Unser Kapital besteht aus weit mehr. Es geht um Erfahrungen und Erfahrung. Um Geschichten und Geschichte.
Um Kompetenzen und Begabungen. Um Leidenschaft und Visionen. Um Ideen und Durchblick. Die mancherlei Gnade - manche übersetzen sie auch: die vielfältige Gnade oder die bunte Gnade - braucht gute
Haushalterschaft. Alle sind an der Haushalterschaft beteiligt. Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat. Jeder hat etwas, was ihm anvertraut ist. Jeder
trägt Verantwortung. Jeder hat etwas, womit er dienen kann. Nicht allein die Hauptamtlichen, auch nicht nur die Ehrenamtlichen oder die Mitglieder des Presbyteriums. Jeder. So sieht es der erste
Petrusbrief.
Durchgesetzt hat sich diese Sicht nicht. Wir sind gewohnt, das Gemeindeglied nicht als Haushalter anzusehen, sondern als Kirchensteuerzahler. Wer Steuern zahlt, hat Ansprüche. Es ist in unserer Kirche durchaus gängig, von ihm als vom Kunden zu reden. Ein zahlender Kunde erwartet Gegenleistung. Jetzt konzentrieren wir uns darauf, die Ansprüche der Kirchensteuerzahler zu erfüllen, weil die uns sonst weglaufen. Wir orientieren uns nicht mehr am Dienst der Mitglieder, den eine Gemeinde braucht, um wirklich zu leben und zu wachsen, sondern an ihren Ansprüchen und Erwartungen. Wenn die nämlich nicht erfüllt werden, sind die weg. Ob eine Körperschaft aus Mitgliedern besteht, denen klar ist, dass ihr Dienst, ihr Engagement, ihr Einsatz gebraucht wird und ihr Mitgliedsbeitrag alleine nicht ausreicht, oder aus Mitgliedern, die Ansprüche an sie richten, weil sie zahlen, hat gravierende Folgen. Der Umgang mit Kunden bzw. Zahlern einer freiwilligen Steuer, wie die Kirchensteuer eine ist, erfordert im hohen Maß Professionalität und Qualifikation.
Aber vielleicht will er ja gar kein Kunde sein. Sondern einfach nur einfach nur Mensch. Und als Mensch angesehen werden. Ein Mensch, der sich nach Heimat sehnt. Als Kunde bin ich nicht auf der Suche nach Heimat. Sondern nach Produkten und Dienstleistungen. Um die zu verkaufen, braucht es keine Haushalterschaft. Sonden ein gutes Management und eine gute Verwaltung. Die soll sich dann um unser Christentum kümmern. Wir zahlen ja dafür. Ein Christ ist dann, wer Kirchensteuer zahlt. Um alles andere wird sich gekümmert. Auch um Dinge, die wirklich nicht Sache der Verwaltung sind. Aus einer Dienstgemeinschaft wird schnell eine Klientel, die ihr Christentum verwalten lässt. Die sogenannte “linke Seite im Haushaltsbuch“ muss jedes Presbyteriumsmitglied kennen. Sie ist so ein Instrument dafür. Dort soll nämlich das ganze bunte, vielfältige Gemeindeleben in, so wörtlich “Maßnahmen, Zielen und Kennzahlen“ erfasst werden, in, Zitat, “Kostenstellen, die nach festzulegenden Schlüsseln verrechnet werden“, damit stets, wiederum Zitat, “der Grad der Zielerreichung… beurteilt werden“ kann. Das kann so natürlich nicht funktionieren und so lang nicht klar ist, warum nicht, wird immer mehr investiert, um das Ding ans Laufen zu kriegen, zum Beispiel in die Software, die dann nicht funktioniert oder in noch qualifiziertere Stellen, bis hoch zur Gehaltstufe A16.
Die andere Seite ist, dass wir in den Gemeinden aus der Übung kommen. Wir müssen uns selbst nicht mehr verantworten und sind nicht mehr geübt im Christentum, in der Haushalterschaft der vielfältigen und bunten Gnade. Die wird dadurch blass und farblos und fasziniert niemanden mehr.
Die Folge ist, dass immer weniger Menschen klar ist, wofür sie eigentlich Kirchensteuer sollen. Ich kenne etliche Menschen, die eine dezidiert evangelische Identität haben. Aber sie keinen Grund kennen, sich einer Kirchengemeinde anzuschließen. Da ist nichts was sie fasziniert.
So kommt es zu immer mehr Kirchenaustritten. Die geben aber nicht etwa zur Frage Anlass, was da falsch läuft, sondern zur Berechnung, was aus der Kirche wird, wenn das immer so weiterläuft, zum Beispiel bis zum Jahr 2030. Diese Berechnung ist zur Grundlage der Finanzierung des kirchlichen Lebens geworden. Seitdem tragen vor allem meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Pfarramt wie ein Mantra ihr Bekenntnis vor sich her: „Die Zeit der Volkskirche geht zu Ende“. „Wir müssen uns drauf einstellen, dass wir nur noch ganz wenige sind“. „Noch sprudeln die Kirchensteuern, aber der große Einbruch wird kommen. Darauf müssen wir gefasst sein“. Können Sie sich vorstellen, was eine Kirche ausstrahlen muss, die ein solches Glaubensbekenntnis hochhält? Natürlich werden dann die Kirchen immer leerer. Das ist aber für uns auch sehr bequem. Wenn die Volkskirche vorbei ist, brauchen wir uns ja nur noch um die Restbestände zu kümmern. Wir machen zu, was uns zu teuer ist. Visionen brauchen wir nicht mehr zu entwickeln, Ziele nicht mehr zu setzen, wir überlassen das alles dem Lauf der Dinge. Wir ziehen uns immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück, aber: das ist ja Schicksal. Das ist ja unabwendbar.
Markus Söder, der bayrische Ministerpräsident, hat unter Missachtung der Trennung von Kirche uns Staat angeordnet, Kreuze in öffentlichen Gebäuden anzubringen. Er weiß sehr genau, was er tut und hat eine Wahl vor sich. Um AfD und Pegida sammeln sich Leute und machen sich, reichlich krakeelend, zu Verteidigern des christlichen Abendlandes, was immer sie selber darunter verstehen. Und da gibt es die Truppen, die angesichts des vermeintlichen Ansturms des Islams plötzlich ihr Christentum entdecken, auch wenn sie nicht im Traum am nächsten Sonntag in die Kirche kommen. Ich kann mich noch aus meiner Zeit als Pfarrer in Düsseldorf an ein Gespräch im Schützenfestzelt erinnern, bei dem ein hoch dekorierter Schützenbruder, na ja, fünf Alt werden es wohl schon gewesen sein, mir bekannte: „Herr Sticherling, wir Christen müssen zusammen halten!“ Ich habe den vorher und nachher nie wieder gesehen. Das kann man alles fürchterlich entsetzlich finden. Man kann aber auch eine Botschaft daraus hören: Die Leute sehnen sich nach etwas, was sie bei uns nicht mehr suchen – nach Heimat.
Wer hat uns eigentlich angewiesen, das Ende der Volkskirche einzuläuten? Wer hat uns ermächtigt, die Volkskirche auf dem Friedhof der Geschichte zu beerdigen? Die Leute sind nicht mehr oder weniger religiös als zu allen anderen Zeiten auch. Sie wollen nicht mehr und nicht weniger als Mensch ernst genommen werden, wie zu allen anderen Zeiten auch. Sie sehnen sich nicht mehr und nicht weniger nach Heimat wie zu allen anderen Zeiten auch. Und dass wir Volkskirche sind, dass ist nicht ist nicht unserem Gutdünken und auch nicht unserer Prognose anheim gestellt. Das gehört zum Glaubensbekenntnis unserer Rheinischen Kirche. Das steht in gar keiner Weise zur Disposition. Sechste Barmer These: „Der Auftrag der besteht darin, die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.“ Das ist klar und unmissverständlich. Da gibt es nichts zu rütteln und zu deuteln. Wir beanspruchen ja keine Monopolstellung. Wir sind nicht die Alleinseligmachende. Da sind die vielen anderen. Aber wir achten darauf, dass wir, zusammen mit der katholischen Kirche, verlässlich präsent bleiben. Flächendeckend! Flächendeckend verlässlich präsent. Das ist Volkskirche. Die wollen wir sein.
Das können unsere Kirchenmanager und Verwaltungsleute nicht leisten. Wir werden sie brauchen. Sie leisten einen hoch qualifizierten Dienst. Aber sie können nicht unseren Job machen. Sie können nicht leisten, was an uns liegt. Sie können keine gute Haushalterschaft der vielfältigen Gnade Gottes liefern. Sie können nicht unser Christentum verwalten. Ich habe mich deswegen dafür entschieden, die „Evangelische Lebenskunst“ zu meiner Sache zu machen. Damit ist nämlich nichts anderes als die Haushalterschaft gemeint. Was ich damit meine, erfahren Sie auf einem Infoblatt, das gleich am Ausgang ausliegen wird, und das ich Ihnen anempfehle.
Bitte schauen Sie sich diese Kirche an. Hier hat es ja auch schon reingeregnet. 1834 zum Beispiel wird es genügend Leute gegeben haben, die beim Anblick der Altenberger Ruine gesagt haben: „Tja, die Zeiten der Dome, Münster und Abteien ist vorbei…“ Das waren die Stimmen der Vernünftigen. Aber es gab auch die Verrückten, wie Franz-Egon von Fürstenberg-Stammheim, wie Friedrich Wilhelm IV., wie Maria Zanders. Und jetzt ist diese Kirche so schön, wie sie nie vorher in der Geschichte war.