Seit etwa 2012 ist im evangelischen Düsseldorf der sogenannte "Synodale Prozess" im Gang. Ausgelöst wurde er durch die schon 2005 erhobene Prognose, dass im Jahr 2030 die Zahl der Kirchenmitglieder auf zwei Drittel sinken werden. Sie werden dann aber nur, so die Erwartung, etwa die Hälfte der Kirchensteuern aufbringen.
Mit dem "Synodalen Prozess", dem ein Name, nämlich "Zukunft Kirche" gegeben wurde, bereitet sich die evangelische Kirche in Düsseldorf darauf vor, dass diese Prognose so auch eintrifft - ungeachtet der Tatsache, dass Voraussagen über solche lange Zeiträume kaum seriös sein können. Alle kirchlichen Planungen gehen unbeirrt davon aus. Sie lassen eine Alternative nicht zu: Zwei Drittel Kirchenmitglieder, nur noch die Hälfte Kirchensteuern - alles andere wird schlicht nicht Erwägung gezogen. Die Kirche hat ihr Schicksal ein für alle mal festgelegt. Daran darf auf keine Fall mehr gerüttelt werden.
"Zukunft Kirche" besteht im Kern aus vier Grundentscheidungen, die in dem Konzept festgehalten sind:
- “Jede (Gesamt-)Kirchengemeinde ist so groß, dass sie möglichst 3 volle Pfarrstellen, mindestens aber 2 volle Pfarrstellen vorhält.
- Eine große Zahl von Pfarrstellen ist im uneingeschränkten Dienst besetzt.
- Gemeindliche Standorte sind nach inhaltlichen Schwerpunkten in regionaler Abstimmung und mit Personalkonzept entwickelt.
- Kirchengebäude sind als Standorte nur dort in Betrieb, wo deren Versorgung durch Pfarrstelleninhaber auch in Vertretungsfällen möglich ist, also mindestens zwei 100%-Pfarrstellen den Dienst aufrechterhalten und zusätzlich Küsterdienst und Kantorendienst vorhanden sind.“
Von der Umsetzung dieser vier Grundentscheidungen verspricht die Düsseldorfer Synode sich etliche Vorteile:
- “Eine so dimensionierte Kirchengemeinde kann die kirchlichen Kernaufgaben erfüllen und auskömmlich wirtschaften.
- Einer Aufsplitterung von Pfarrstellen wird entgegengewirkt.
- Neben den Pfarrstellen können voraussichtlich 2,5 bis 3 Stellen für weitere hauptamtlich Mitarbeitende am Standort finanziert werden (Personalmix).
- Die Konzentration der Arbeit auf weniger Kirchengebäude nimmt Rücksicht auf geringer werdende Personalressourcen. Gleichzeitig kann ein intensives und attraktives Angebot am Standort vorgehalten werden.
- Die positiven Effekte einer Umstrukturierung werden nachhaltig bis zum Jahr 2030 wirken.“
Zusammengefasst wird der "Synodale Prozess: Zukunft Kirche" mit diesem Kernsatz:
- “Damit sich Gemeinden in Zukunft und für die Zukunft so aufstellen können, bedarf es intensiver Kooperationen bis hin zur Bildung von Gesamtgemeinden oder zu Fusionen.“
Fünf evangelische Kirchen sollen dafür aufgegeben werden und sind zur Entwidmung vorgesehen. Zugleich werden Gemeinden zusammengelegt, so dass sie sich von Ortsgemeinden zu regionalen Körperschaften entwickeln. Entsprechend werden hauptamtliche Stellen gestrichen oder zusammengelegt.
Wie der "synodale Prozess" umgesetzt wird, lässt sich aufschlussreich am Protokoll einer Gemeindeversammlung der Emmaus-Gemeinde am 22. April 2018 studieren. Die Emmaus-Gemeinde ist 2016 aus der Fusion von Christus-, -Matthäi- und Thomasgemeinde entstanden, die sich nun entlang der B8 zwischen Hauptbahnhof und Mörsenbroicher Ei erstreckt. Die Gemeindeversammlung ist aus Anlass der geplanten Aufgabe der Thomaskirche durchgeführt worden. Auch auf dieser Gemeindeversammlung wurde vorausgesetzt, dass eine Entwicklung, die von der prognostizierten abweicht, auf keinen Fall in Betracht gezogen wird: Die Prognosen...
- ..."basieren… nicht auf wirtschaftlichen Faktoren sondern in erster Linie auf dem demographischen Wandel und dem Mitgliederschwund. Wenn man sich die letzten Jahrzehnte anschaut ist die Tendenz eindeutig." (Seite 4)
Aus der Prognose - wie gesagt, von 2005! - ist längst ein Sachzwang geworden.
Ziemlich gegen Ende des Protokolls (Seite 4) scheint durch, dass der Prozess des Zusammenwachsens der drei Gemeinden bisher keineswegs gelungen ist:
- "Es besteht die Gefahr, dass die Gemeinde sich selbst durch den Fusionsprozess fremd wird."
Jedoch wird die Frage nach den Ursache für die Gefahr des Fremdwerdens nicht gestellt, statt dessen nur ein Appell an die Gemeindeversammlunng gerichtet:
- "Es muss gelingen, das Zusammenwachsen in den Fokus zu bringen."
Die Gemeindeversammlung stand unter dem Eindruck des Sachzwangs und war sich in keiner Weise bewusst, dass es sich um einen selbst gewählten Sachzwang handelt. Das lässt sich an einem Gesprächsgang in der Diskussion eindrucksvoll beobachten (Seite 2f.). Aus der Versammlung heraus wird die Frage gestellt:
- "Sind die Prognosen der Berechnungen der EKD noch richtig? Die Zahlen (Prognosen über Kirchenaustritte, demographischen Wandel und Kirchensteuerzuteilungen), die als Argument zur Begründung dienen, die Thomaskirche zu verkaufen, sind nicht nicht überzeugend."
Der Leiter der Versammlung antwortet:
- "Diese Prognosen der EKD- Zahlen haben sich rückblickend im Hinblick auf das Kirchensteueraufkommen nicht bestätigt. Sie haben sich aber im Hinblick auf die Mitgliederzahlen sogar eher noch verschlechtert. Unabhängig davon, weist aber der Haushalt der Emmaus-Kirchengemeinde für 2018 bereits ein strukturelles Defizit auf. Schon jetzt ist also der Gebäudebestand nicht zu bewirtschaften und zu bespielen. Es besteht Handlungsbedarf. Die momentane Gebäudesituation kann sich die Emmaus-Kirchengemeinde auf Dauer nicht leisten."
Strukturelle Defizite hatten im selben Haushaltsjahr auch viele andere Gemeinden zu beklagen. Aber hier wird auf geschickte Weise dieses Defizit mit der "Zwei-Drittel-Mitglieder-Hälfte-der-Kirchensteuer-Prognose" verknüpft. Dass das Defizit ganz andere Gründe haben könnte - und ja tatsächlich auch hat - wird gar nicht Erwägung gezogen. Denn Tatsache ist, dass das Kirchensteueraufkommen in diesem Zeitraum nicht nur stabil geblieben ist, sondern zugenommen hat. Bisher kann also keine Rede davon sein, dass sich eine Bewahrheitung der Prognose andeutet.
Es stellt sich darüber hinaus die Frage, warum Kirchenaustritte nicht nur einfach hingenommen werden, sondern sogar bis zu einem Zeitpunkt von jetzt an gerechnet in zwölf Jahren hochgerechnet werden, als wären sie ein gottgebenes und unabwendbares Schicksal. Nicht ansatzweise wird die Frage gestellt: Was steckt eigentlich hinter den Kirchenaustritten, was sind ihre Ursachen, was liegt an uns, daran etwas zu ändern? Denn dass die kirchlichen Strukturen mit den gegenwärtigen Entwicklungen überfordert sind, ist ja nicht von der Hand zu weisen. Aber sie einfach schicksalhaft und achselzuckend hinzunehmen - kann das die angemessene Antwort sein?
Die schon angedeutetete Gefahr der Entfremdung deutet aber darauf hin, dass der Synodale Prozesse diese Entwicklung eher beschleunigen als verlangsamen wird. Es fällt auf, dass in dem Konzept des "Synodalen Prozesses" ausschließlich von den Hauptamtlichen die Rede ist und die Gemeindeglieder, das Kirchenvolk, die Ehrenamtlichen mit keinem Wort erwähnt werden. Die mündigen Zeitgenossen, die selbst Verantwortung für die Kirche übernehmen, die mitentscheiden, mitwirken, mittragen, kommen praktisch nicht vor. Sie werden unter der Hand und stillschweigend zu Empfängern von kirchlichen Dienstleistungen, zum Publikum, zu Kunden, die Anspruch auf Qualität haben, um deren Sicherung bei geringer werdenden Ressourcen es nämlich hier geht. Dafür konzentriert sich die Kirche im Sinne von Klotzen-nicht-Kleckern auf die wenigen Standorte: "Die Konzentration der Arbeit auf weniger Kirchengebäude nimmt Rücksicht auf geringer werdende Personalressourcen. Gleichzeitig kann ein intensives und attraktives Angebot am Standort vorgehalten werden".
Die Frage ist nur, ob die Gemeindeglieder selbst Dienstleistungsempfänger, Publikum und Kunden sein wollen, oder ob sie nicht etwas ganz anderes erwarten: Sie möchten wahr- und ernst genommen werden und dass ihr Vertrauen geweckt wird; sie möchten Achtsamkeit erfahren und einüben und Verantwortung übernehmen; sie möchten mitwirken und mitgestalten. Das kann nur gehen, wenn sich die Frage beantworten lässt: Wer ist für sie verlässlich offen, erreichbar, ansprechbar? Der Synodale Prozess wird gewiss in der Lage sein, professionelle Qualität zu gewährleisten. Das alleine reicht aber nicht. Das wesentliche Kennzeichen unserer Kirche ist verbindliche Präsenz - für jeden, überall und jederzeit. Die Gefahr droht aber, dass der synodale Prozess eben das bewirkt, was zunächst lediglich - und das noch nicht einmal sehr glaubwürdig - prognostiziert worden war (siehe oben).
Was also lernen wir aus dem Düsseldorfer "Synodalen Prozess"? Nicht, dass wir keine gut ausgebildeten und qualifizierten Hauptamtlichen brauchten. Die werden auch in Zukunft nötig sein. Aber professionelle Qualität kann niemals an die Stelle verlässlicher Präsenz treten und diese ersetzen. Dafür braucht es aber weniger die Profis und die Fachleute, sondern mündige und selbstbewusste Christinnen und Christen in selbstbestimmten und für sich selbst verantwortlichen Gemeinden, die sie als ihre Angelegenheit betrachten und nicht lediglich als Unterabteilung höherer Leitungsebenen und Produzent von Dienstleistungen, die sie in Anspruch nehmen oder nicht. Und Synodale und Mitglieder von Presbyterien, die mehr Mitwirkungsmöglichkeiten haben als nur "Ja" oder "Nein" zu sagen zu Vorlagen, die von oben auf deren Tagesordnung gesetzt werden. Wenn dies gelingt, dann dürfte die Lähmung und die Mutlosigkeit, die sich derzeit in einigen Düsseldorfer Gemeinden breit macht, allmächlich überwunden werden. Und dann erreicht der Düsseldorfer "Synodaler Prozess" am Ende doch noch sein Ziel, nämlich die "Zukunft Kirche".
Das Kleine Dreimalvier der Evangelischen Lebenskunst (pdf)
3x4 Anregungen für den Einstieg in die Evangelische Lebenskunst (pdf)
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