Sie galt mal als reaktionär, die Michaelsbruderschaft, mindestens aber als rückwärtsorientiert. Man sagte ihr katholisierende Tendenzen nach. Die Sprache der Gründungs-Dokumente ist ein wenig schwülstig (Zwanziger-Jahre!). Was für ein Verhältnis sie zur Bekennenden Kirche und zum Dritten Reich hatte, ist mir bisher nicht so recht klar geworden. Ihr führenden Köpfe fanden nicht immer Anschluss an die Fortentwicklung der evangelischen Theologie.
Was treibt mich dorthin, der ich mich politisch relativ weit links einordne, von meiner Prägung her Lutheraner und zugleich ein entschiedener Verfechter eine basisorientierten, demokratischen - also presbyterialen und synodalen - Kirchenordnung bin?
Das kann ich schnell erklären.
Ich sehe in der Evangelischen Michaelsbruderschaft ein Modell dafür, wie sich evangelisches Leben in Zukunft gestalten wird. Ein Modell, denn der Protestantismus ist durch Vielfalt gekennzeichnet. Aber ein sehr bedeutsames.
Heute wird die Kirchenmitgliedschaft durch die Zahlung der Kirchensteuer definiert. Die Kirchensteuer ist gewissermaßen die Grenze der Kirche. Wer sie nicht mehr zahlt, tritt aus der Kirche aus. Das ist theologisch mehr als fragwürdig, weil dadurch die Taufe entwertet wird. Diese ist die eigentliche Grenze zwischen Innen und Außen der Kirche. Viele Ausgetretene bezeichnen sich auch nach ihrem Austritt - theologisch mit Recht! - als evangelisch. Die Gültigkeit der Taufe kann nicht verloren gehen. Und wer um jeden Preis der Welt nicht evangelisch sein will, kann seine Taufe ignorieren und irgendwann vergessen. Aber die Taufe lässt sich nicht rückgängig machen. Wer getauft ist, ist Glied am Leibe Christi und bleibt es.
Eine Kirchensteuer wird es voraussichtlich noch lange geben, weil so viel dran hängt, und weil es derzeit keine Alternative dazu gibt. Aber ihr die Würde eines Unterscheidungsmerkmals zwischen evangelisch und nicht evangelisch zu geben, ist theologisch verfehlt. Das Fatale daran ist, dass sich die Reformbestrebungen in der Evangelischen Kirche primär darauf beschränken, die Anzahl der Kirchensteuer zahlenden Personen und die Höhe der gezahlten Kirchensteuer anzuheben. Die Zahlung der Kirchensteuer wird so zum entscheidenden Kriterium. Wer sie zahlt, aber sonst im kirchlichen Leben nicht in Erscheinung tritt, gilt gleichwohl als evangelisch.
Die Michaelsbruderschaft bietet ein ein anderes Modell. Ihr Leitsatz lautet: "Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind." Männer - ja, es sind nur Männer, wo liegt das Problem? - die "mit Ernst Christen sein wollen" - vereinbaren eine gemeinsame Ordnung, nach der sie ihr Leben, ihre Gemeinschaft, ihren Glauben verlässlich leben wollen. Diese Ordnung orientiert sich zum einen an der Reformation, zum anderen am gewachsenen abendländisch-westkirchlichen Erbe. Das bringt der Michaelsbruderschaft gelegentlich den Vorwurf des "Katholisierens" ein, was aber ein völliges Missverständnis ist. Wir sind keine "evangelischen Katholiken", wohl aber wertschätzen und glauben wir - im Sinne der Bekenntnisse von Nicäa 325 und Konstantinopel 381 - die "eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche", die zugleich in der römischen als auch in der Wittenberg-Zürich-Genf-Leuenbergischen Kirche Gestalt erhalten hat. Ihr fühlen wir uns verpflichtet.
Die Michaelsbruderschaft ist eine Antwort auf eine allzu unverbindliche, einer sich als Liberalität ausgebenden subjektiven Willkür ausgelieferte, sich anbiedernde Kirchlichkeit, deren "lieber Gott" keinem wehtut und deswegen auch keinem wirklich gut tut. Wenn jemand den Stil der Michaelsbruderschaft nicht mag - sei's drum! Natürlich werden Geschwisterschaften und verbindliche Gemeinschaften theologisch und geistlich sehr unterschiedlich und vielfältig gestaltet sein. Die Michaelsbruderschaft jedenfalls steht für eine Kirche, die auf der einen Seite ein großes Herz hat für alle Getauften, gleich wo sie getauft sind und wie nah und fern sie dem Evangelium stehen, und für alle Nichtgetauften, die sie aber auch zur Taufe einlädt. Auf der anderen Seite wird unsere Kirche keine Chance haben, wenn sie sich nicht in ihrem Zentrum verbindlich, verlässlich, geschwisterschaftlich gestaltet. Meinen Weg in die Michaelsbruderschaft sehe ich als ein Stück Vorwegnahme der Kirche von morgen an.
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