Weiche Prognosen, harte Fakten

“Eine zentrale Botschaft des Neuen Testaments lautet: Fürchtet euch nicht! Wer aber aus Furcht Schulen schließt und seine Gemeinde heimatlos macht, reißt Brücken ein und wird bald vor leeren Kirchenbänken predigen.“

 

Das stellt DIE ZEIT (von dieser Woche, Nr. 28/2018, Rainer Esser: “Die Vertreibung der Katholiken“) im Blick auf die geplante Schließung von fünf katholischen Schulen in Hamburg fest. Ersetzt man das Wort “Schulen“ durch das Wort “Kirchen“ ersetzt, passt dieser Satz auf Düsseldorf. 2005 hatte man uns gesagt: in einem Vierteljahrhundert, also im Jahr 2030, wird die evangelische Kirche, gemessen am damaligen Stand, nur noch zwei Drittel der Mitglieder haben. Und die werden nur die Hälfte der Kirchensteuern zahlen. Das waren Prognosen. Prognosen sind weich. Sie müssen immer an die Wirklichkeit angepasst werden. Uns aber wurden sie als harte Fakten verkündet. Wir waren beeindruckt und erschüttert.

 

Es es gab damals aber nur ein wirklich hartes Faktum, und das war der Glaube an die harten Fakten. Der Glaube jedoch sorgt oft genug dafür, dass das, woran er glaubt, schließlich doch noch zur Wirklichkeit wird. Das wird self fullfilling prophecy genannt. Der Glaube produziert die Wirklichkeit selbst, an die er glaubt. Am Ende werden wir zu hören bekommen: Wir haben doch recht gehabt. Es ist doch alles so gekommen. Aber niemand wird fragen, warum alles so gekommen ist.

 

Warum z. B. wird kaum jemand antworten können auf die Frage: Was ist eigentlich die Kernbotschaft der evangelischen Kirche? Vielleicht fällt dem einen oder anderen, der gut in der Schule in Reli aufgepasst hat, die Formel ein, mit der die evangelische Verkündigung gerne zusammengefasst wird: Die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden und allein durch den Glauben. Aber was ist damit gemeint? Können mit dieser Formel unsere Zeitgenossen etwas anfangen? Ist ihnen klar, dass es sich hier auch um harte Fakten handelt? Die sich aber, wie jene harten Fakten, eben nur dem erschließen, der an sie glaubt.

 

Überall, wo ich mich hinwende, wirklich überall, sehe ich Menschen, die im Stress sind, unter Druck stehen, mit ihrer Zeit nicht klar kommen, erschöpft sind und kaum noch aufzuatmen und sich zu erholen in der Lage sind. Auch die Kirche selbst steht im gleichen Stress. Auch die Pfarrerinnen und Pfarrer sind vom Burnout bedroht. Weil es so, wie es ist, nicht gut ist. Es muss besser werden. Und weil sie selbst nicht gut genug sind. Sie müssen besser werden. Und noch besser. Das steht im Widerspruch zur Rechtfertigung an die wir glauben (sollen). Die besagt nämlich: Du musst nicht besser werden. Du BIST gut, so wie du bist. Und ES muss nicht besser werden. Es IST alles gut, so wie es ist.

 

Schauen wir uns selber und und sprechen: Ich bin gut. So wie ich bin.

 

Schauem wir die Welt an mit all dem Klimawandel, den Trumps und Erdogans, den Flüchtlingen, dem schreienden Elend der Menschen. Und dann sprechen wir: Es ist gut so. Die Welt ist gut.

 

Das sind harte Fakten. Aber sie müssen geglaubt werden. Und viele werden jetzt denken: Wie soll ich glauben, dass alles gut ist und dass ich gut bin? Eben. Eigentlich kann man das gar nicht glauben. Wir können es nur glauben, weil wir an Gott glauben. Nicht nur, dass es gut gemacht hat, irgendwann. Er macht es gut. Das ist ein hartes Faktum. Aber harte Fakten müssen geglaubt werden. Sonst entziehen sie sich der Wirklichkeit.

 

Selber können wir uns das nicht sagen. Aber das ist mal gesagt worden worden und Gott selbst hat es gesagt und in den biblischen Schriften wird das dokumentiert und deswegen sind die so wichtig für uns. Und deswegen ist die Evangelische Kirche so wichtig. Sonst können die Menschen das nicht glauben. Sie werden weiter unter Druck stehen und weiter vom Burnout bedroht und weiter mit ihrer Ohnmacht kämpfen. Aber sie können es nicht glauben, wenn wir es nicht tun. Wenn es andere harte Fakten sind, an die wir glauben.

 

Und: Mehr ist nicht nötig, als das zu glauben. Alles weitere ergibt sich. Denn wir Glaubenden stehen ja nicht mir unter dem Druck irgendwelcher Notwendigkeiten ("Es muss besser werden!"), sondern schauen auf einen ungeahnten Reichtum an Möglichkeiten, der sich vor uns auftut ("Es ist gut"). Wir müssen nicht, aber wir können. Weil wir gut sind.

 

Der Rückzug der Evangelischen Kirche steht im Widerspruch zu dem, was wir Evangelischen glauben. Wir werden gebraucht, unser Glaube an harte Fakten. An die Rechtfertigung allein aus Gnaden. Und allein durch den Glauben.

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