Willkommen unter Taufscheinchristen und Karteileichen!

 

Sechs Wochen ist das jetzt her, da habe ich anlässlich meiner Verabschiedung zum letzten Mal im Altenberger Dom gepredigt. Das war mein letzter Sonntagsgottesdienst. Seitdem war ich nicht ein einziges Mal mehr am Sonntag in der Kirche. Ich habe den Gottesdienst nicht vermisst.

 

Dafür habe ich den freien Sonntag entdeckt. Zeit haben. Nichts müssen. Das ist so was kostbares. Warum soll ich das für einen Gottesdienst hergeben? Dafür müsste es gut Gründe geben. Aber meine Gottesdienste waren ja auch nicht besser oder besser besucht. Deswegen ist es gut, wenn ich jetzt mal draußen bin.

 

Ich bin also unter die Taufscheinchristen geraten. Ich brauche nur noch in die Kirche zu gehen, wenn mir danach ist. Ich muss es nicht mehr. Ich kann aber, wenn ich will. Das hat was Befreiendes. Was ja nicht heißt, dass ich überhaupt nicht mehr in die Kirche gehe. Nur eben, wenn mir danach ist. Das ist es ja, was uns Taufscheinchristen kennzeichnet. Aber was würde mich bewegen, in den Gottesdienst zu kommen und den halben freien Sonntag dafür zu opfern? Dafür, wie gesagt, müsste es wirklich gute Gründe geben.

 

Ein Grund dafür wäre die Kirche selbst. Wenn sie die ganze Woche da steht, verschlossen, abweisend, tot, dann fühle ich mich auch sonntags nicht eingeladen. Das ist doch irrsinnig: die ganze Woche verriegelt, soll sie plötzlich am Sonntag Morgen für eine Stunde das volle Leben entfalten, um dann wieder eine Woche lang in Dämmerschlaf zu sinken und gleichgültig da rum zu stehen. Das kann doch so nicht gehen.

 

Aber auch wir Taufscheinchristen, mögen wir noch so kirchenfern sein, brauchen heilige Orte in unserem Dorf oder Stadtquartier. Wo der Name Gottes wohnt, wo man vor Gott sein und mit ihm reden kann. Die müssen immer offen sein. Aber einfach die Tür aufschließen und eine brennende Kerze auf oder vor den Altar stellen, reicht auch nicht. Es muss jemand da sein. Auch dann, wenn keiner kommt.  Da weiß man, dass das nicht irgendein so ein Ort ist. Hier wird die Stille gewahrt. Jeder achtet darauf. Hier ist Gott zu Hause. Mag sein, dass ich ganz selten oder überhaupt nicht hier herkomme. Und dass oft Tage lang hierher niemand kommt. Aber dass es diesen Ort einfach nur gibt, das reicht mir schon. Eine offene Kirche, ein heiliger Ort hat Ausstrahlung auf unser Dorf oder Quartier. Ich könnte jederzeit dahin und ich weiß, ich bin da willkommen. Das ist dann auch im Gottesdienst so. Ganz wichtig für mich! Willkommen sein. Manchmal könnten wir wirklich ein bisschen katholischer sein. Betritt ein katholische Christ eine Kirche, hält er inne, gedenkt am Weihwasserbecken seiner Taufe, macht eine Kniebeuge und manchmal zündet er eine Kerze an. So schafft er eine Schwelle zwischen dem Ort der Gottesbegegnung und dem Alltag.

 

Liturgie brauch ich nicht. Der Pfarrer sagt was, die Gemeinde singt was und keiner weiß genau was. Der Pfarrer liest irgendwas aus einem etwas abgenutzten Paperback vor, vielleicht mit dem Titel "Neue Gebete für den Gottesdienst 2004" oder so. Und jeder weiß, die hat er sich eben noch zusammengesucht. Wenn Liturgie, dann bitte nur gesungen. Aber die Gemeinde muss die auch singen können. Der Pfarrer auch. Sonst ist's einfach nur peinlich. Was viel zu kurz kommt, ist die Stille. Schweigen ist die angemessene Haltung, Gott gegenüber zutreten. Das kommt im Gottesdienst überhaut nicht vor.

 

Die Orgel - wenn sie gut ist und von einem A-Musiker gespielt wird - finde ich schön. Ich mag Orgelmusik und Lieder mit der Orgel singen. Ich mag das Gesangbuch. Aber mit sogernannten "neuen Liedern" vom Schlage "Hört, wen Jesus glücklich preist" oder "Komm, bau ein Haus", kann man mich jagen. Dann doch lieber Paul Gerhard, Matthias Jorissen und Johann Crüger. Oder es steht ein richtig guter Gospelchor oder ein Band zur Verfügung. Die müssen aber wirklich gut sein, musikalisch, technisch, in der Liedauswahl, mit Gespür für den Gottesdienst, mit liturgischer Präsenz. Richtig gut. Nicht nur gut gemeint. Dann komm ich.

 

Auch die Predigt brauche ich nicht. Jedenfalls nicht die gesammelten Weisheiten und Klugheiten und theologischen Kenntnisse meiner früheren Kolleginnen und Kollegen. Ich bleibe auch als Taufscheinchrist Theologe und kann mir dass alles selbst anlesen und tue das auch. Im Gottesdienst möchte ich wissen, was Gott sagt. Ich möchte ihn reden hören. Und wenn er gerade nichts zu sagen hat, sollen die Predigerinnen und Prediger auch schweigen. Die behaupten ständig zu wissen, was Gott sagt und meint und er meint es natürlich immer nur gut und und hat uns immer lieb und so. Manchmal wird mit irgendwelchen Gottesklugheiten das Schweigen Gottes übertönt. Kann man die Predigt nicht auch mal weglassen?

 

Aber das Abendmahl ist mir wichtig. Wir vergegenwärtigen und feiern den neuen Bund, den Gott mit uns schließt. Aber dieses Im-Kreis-aufstellen und dann noch das Händchenhalten und prompt stoßen wir beim Weg zurück in die Kirchenbänke im Mittelgang mit denen zusammen, die nach vorne wollen. Ach, es ist manchmal so unbeholfen. Ich möchte in aller Ruhe nach vorne kommen, das Brot essen (und es kann wahrlich auch richtiges Brot sein), aus dem Kelch trinken, dann wieder in aller Ruhe auf meinen Platz zurück gehen, ohne jemanden künstlich angrinsen zu müssen. Ich will beim Abendmahl keine "Gemeinschaft". Auch eine "Wandlung" wie in der katholischen Messe brauche ich nicht, die wird mir wohl immer fremd bleiben. Ich will aber, dass Jesus, unser Herr, spürbar selbst da ist und mir Brot und Wein reicht. Dass Gott mitten unter uns ist und wir vor ihm stehen.

 

Und dann habe ich noch einen besonderen Wunsch. Ich möchte wirklich gesegnet werden. Pfarrerin oder Pfarrer, die am Ende des Gottesdienstes das Münchner Kindl darstellen, das ist mir zu wenig. In der evangelischen Kirche ist in den letzten Jahrzehnten die Salbung als Ritual des Segens wieder entdeckt worden. Warum kann man das nicht öfter so halten? Der Segen ist so wichtig und wird so lieblos und gleichgültig behandelt. Warum soll man da in den Gottedienst?

 

Übrigens einen Talar brauchen Pfarrerin oder Pfarrer auch nicht. Ich mag ihn nicht und bin froh, ihn selber nicht mehr anziehen zu müssen. Eine Stola reicht doch, über den normalen Anzug getragen. Das ist ein sehr altes Symbol dafür, dass der Gottesdienst im Auftrage Jesu Christi gehalten wird. Das wär mir wichtig. Und alle anderen, die im Gottesdienst beteiligt sind, sollten auch erkennbar sein. Schön finde ich einen Einzug aller Mitwirkenden zu Beginn und einen Auszug am Ende des Gottesdienst. Dann sollen aber alle aufstehen und die Musik soll dazu spielen. Damit würde die Zeit der Gottesbegegnung deutlich markiert und vom Alltag abgehoben. Das kriegen die Katholen besser hin.

 

Es wäre so einfach und man brauchte so wenig, um richtig gute und richtig schöne Gottesdienste zu feiern. Aber man müsste sich einfach mal von den alten Mustern lösen. Diese Gefangenheit im Gewohnten blockiert und lähmt nur. Solange das so ist, werde ich nur noch dann in die Kirche gehen, wenn mir danach ist. In diesem Sinne freue ich mich schon auf den nächsten Gottesdienst. 

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