Imagine there's no heaven. It's easy if you try. No hell below us, above us only sky. (John Lennon)
Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun. (Die Internationale)
Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. (Ludwig Feuerbach)
Religion ist Unglaube. (Karl Barth)
Wir gehen einem religionslosen Zeitalter entgegen. (Dietrich Bonhoeffer).
Nein, das funktioniert so nicht mehr. Es hat auch nie wirklich funktioniert. Zu meinen, Religion könne man einfach abschaffen. Einfach hinter sich lassen. Religion, die Illusion, die die Wirklichkeit nur verschleiert. Die Menschen unmündig macht. Die sie daran hindert, sich hier und heute um sich selbst zu kümmern. Auch wir evangelischen Theologen haben zwischen Religion und Glauben zu unterscheiden gelernt. Religion war gemeint als Eigenmächtigkeit des Menschen, der sich selbst seinen Gott erschuf. Der sich damit aber auch daran hinderte, Verantwortung für sich selbst und für seine Welt zu übernehmen.
Es zeigt sich immer mehr, dass dies so nie gestimmt hat. Wir haben die Freiheit nicht, die Religion einfach “abzuschaffen“. Sie ist unkaputtbar. Nicht die Religion ist die Illusion. Sondern, zu meinen, man könne sie einfach abschaffen, das ist illusionär. Der Mensch wird die Religion nicht los, genausowenig wie die Luft zum atmen. Die Atheisten unter meinen Freunden sind in der Regel hoch anständige und verlässliche Menschen mit hohem ethischen Anspruch. Sie werden wahrscheinlich empört reagieren, wenn ich behaupte, sie werden die Religion nicht los. Aber kein Mensch kann lange existieren ohne für sich selbst die Frage zu beantworten, worauf er sich verlässt und wem er verantwortlich ist. Auch wenn er diese Frage nicht bewusst beantwortet - er beantwortet sie. Vielleicht merkt er das nicht. Erst wenn er wirklich keine Antwort findet, wird er gewalttätig, gegen sich und gegen andere. Gewalt ist Ausdruck der Unfähigkeit, diese Fragen zu beantworten. Gewalt ist Ausdruck der Unfähigkeit zur Religion, genauso, wie ich um mich herum schlage, wenn ich keine Luft mehr kriege.
Der Verzicht auf Religion würde den Menschen zwingen, sich nur noch auf sich selbst zu verlassen, womit er überfordert ist und was, wie gesagt, zwangsläufig Gewalt und Gegengewalt hervorruft. Der Verzicht auf Religion liefert die Menschheit ihren Bedrängern wehrlos aus - den Bedrängern übrigens, die sich selbst in der Regel religiös legitimieren! Dass die Religion selbst zur Quelle von Gewalt wird, ist ja offensichtlich. Sie wird aber erst dann zur Quelle der Gewalt, wenn sie die Grundfragen des Menschen - worauf er sich verlässt und wem er sich verantwortet - nicht mehr wirklich zu beantworten in der Lage ist. Das gilt für die Bolsonaros, Trumps, Erdogans, Putins und für alle anderen, die die Erde derzeit ruinieren. Sie geben sich religiös oder (was dasselbe ist) ideologisch, weil sie sich legitimieren müssen. Sie brauchen das zur Tarnung und Verschleierung, ohne die Gewaltherrschaft nicht funktioniert.
Unter der Autorität der vielleicht größten evangelischen Theologen des letzten Jahrhunderts, nämlich Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer, hat sich die evangelische Kirche auf die Annahme eingelassen, der Mensch der Gegenwart werde zunehmend religionslos. Vielleicht ist das als Reaktion auf die schon seit langem anhaltende Emanzipation der Europäer von den Kirchen und als eine Anpassung - Anbiederung? - an sie zu verstehen. Das war ein fataler Irrtum (dem ich selbst, mit Abstrichen, auch erlegen bin). Dadurch ist sie sprachlos geworden - der Grund für ihren zunehmenden Autoritätsverlust. Den Menschen, die sie für religionslos hält, hat sie nichts mehr zu sagen. Menschen, denen man die Entscheidung überlässt, ob Gott für sie existiert oder nicht ("imagine all the people living in harmony"), was sollen die mit der Kirche anfangen? Warum sollten sie sich für die Existenz Gottes entscheiden? Die Folge davon ist, dass die Kirchen ihre Kirchen abreißen und sich aus dem öffentlichen Leben kontinuierlich und konsequent zurückziehen. Die Kirche schafft sich ab.
In Wirklichkeit können wir Gott (oder wie wir ihn auch immer nennen) gar nicht entrinnen. Wir sind ihm ausgeliefert - aber wir wissen nicht, was er mit uns macht. Wir sind ihm verantwortlich, aber sind wir überhaupt in der Lage, unserer Verantwortung gerecht zu werden? Die Frage lautet also nicht, ob Gott existiert oder nicht, sondern welches Verhältnis zwischen Gott und und uns herrscht. Eines der Angst oder eines des Vertrauens? Eines der Verbitterung, der verletzten Wut, der Entfremdung oder eines der Heimat, der Versöhnung, der Freiheit? Nicht, ob es Gott gibt oder nicht ist relevant, sondern wer er für uns ist und wer wir für ihn sind. Gott für nicht existent zu erklären, weicht dieser Frage aus, aber die verschwindet nicht. Gott für nicht existent zu erklären und Religion für obsolet, löst die Probleme nicht, die auch durch die Religion selbst geschaffen worden sind.
Das Christentum schafft weder eine neue Religion noch schafft es sie ab. Sein Kern besteht darin, dass die existenziellen Grundfragen, die den Menschen die Religion unausweichlich auferlegen, vom Schöpfer selbst beantwortet werden, der an seiner Schöpfung und ab seinen Geschöpfen unbedingt festhält und sie nicht aufgibt. Die Frage ist, ob wir ihm das abnehmen und was das für uns bedeutet.
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