Meditation über die Kirchenordnung


Was wäre, wenn Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr Vorsitzende sein könnten und allenfalls nur noch beratendes Stimmrecht in Presbyterium und Synode hätten?

 

Pfarrerinnen und Pfarrer sind laut Artikel 49(2) an der Leitung ihrer Kirchengemeinde beteiligt. Sie sind stimmberechtigte Mitglieder des Presbyteriums (Art. 17). Ihre Mitwirkung in Gremien „ist Dienst“ (Art. 49(4)). Entweder der Vorsitz oder der stellvertretende Vorsitz wird durch eine Pfarrperson ausgeübt (Art. 21). Die Einbindung des Pfarramtes in die Gemeindeleitung mag (nieder)rheinischer Tradition entsprechen. Notwendig ist sie aber nicht. So gehören etwa, zum Vergleich, Rabbinerinnen und Rabbiner in einer jüdischen Gemeinde als Angestellte dem Gemeindevorstand nicht an, geschweige denn dass sie den Vorsitz oder stellvertretenden Vorsitz dort ausüben (wie übrigens auch im Präsidium des Zentralrats nicht eine einzige theologische Person sitzt). Die Klage über schlechte Predigten, ausgebrannte, erschöpfte, nicht erreichbare oder stets unter Zeitdruck stehende Kolleginnen und Kollegen könnte doch seinen wichtigsten Grund darin haben, dass sie – laut Kirchenordnung – Aufgaben wahrnehmen sollen, die mit ihrem Beruf eigentlich gar nichts zu tun haben. Sollten wir Pfarrerinnen und Pfarrer eigentlich ein Interesse daran haben, diese Funktionen auszuüben? Wäre es für uns wichtig, dass diese Rollenzuteilung der Kirchenordnung so bleibt, oder hätten wir ein Gewinn davon, wenn wir gewissermaßen „entmachtet“ würden und tatsächlich nur noch die Funktionen wahrnehmen, für die wir als Pfarrerinnen und Pfarrer bestellt sind, also Verkündigung, Sakramentsverwaltung, Unterricht, Seelsorge, Begleitung der Mitarbeitenden, Pflege Geistlichen Lebens und theologisches Engagement?

 

Die Vorteile lägen ja auf der Hand. Wir hätten tatsächlich in sehr viel größerem Maße die Chance, wirklich präsent (auch im Sinne „liturgischer Präsenz“), ansprechbar, erreichbar zu sein. Wir hätten sehr viel mehr Zeit für Menschen, Theologie und geistliches Leben und endlich die Zeit, die wir für wirklich gute Predigten und Gottesdienst-Vorbereitungen bitter nötig hätten. Der Preis wäre: Wir hätten kein Mitspracherecht mehr bei der Aufstellung des Haushaltes, wir hätten wesentlich weniger Einfluss auf Personal- oder Gebäude-Entscheidungen, wir bekämen möglicherweise nicht mehr alles zur rechten Zeit mit, das Presbyterium wäre ein Gegenüber, dem wir nicht wirklich angehören und dem wir rechenschaftspflichtig wären.

 

Jede(r) von uns wird das unterschiedlich sehen. Es wird Kolleginnen und Kollegen geben, die solche Einflussmöglichkeiten niemals aus der Hand geben würden, die gerade darin auch ein Stück ihrer beruflichen Erfüllung sehen und durchaus lustvoll den Einfluss ausüben, der ihnen dadurch zuwächst, und darauf nur ungern verzichten würden. Aber andere – zu denen ich mich selbst auch zähle – würden aufatmen, weil eine Riesenlast von ihnen abfiele und sie tatsächlich endlich „Zeit fürs Wesentliche“ hätten. Sie könnten nicht mehr für etwas zur Verantwortung gezogen werden, was eigentlich nicht in ihren Verantwortungsbereich gehört.

 

Aber dann stellt sich natürlich die Frage, wer die Arbeit machen soll, die dann nicht mehr von Pfarrerinnen und Pfarrern wahrgenommen werden kann. Hier zeigt sich das eigentliche Problem. Es wird sich vermutlich erweisen, dass sie in diesen Leitungs- und Verwaltungsfunktion praktisch nicht zu ersetzen sind. Die Verbetriebswirtschaftlichung der Kirche – man entschuldige mir dieses Wortungetüm – ist ja längst tief ins Pfarramt eingedrungen. Pfarrerinnen und Pfarrer sind längst, auch wenn sie das gar nicht wollen, zu Funktionärinnen und Funktionären geworden, auf die man gerade nicht wirklich verzichten kann. Irgendwer muss es doch machen, und wer, wenn nicht das ordinierte Personal? Vermutlich würde die „Entmachtung“ des Pfarrpersonals in diesem Sinne an der einen oder anderen Stelle zum Zusammenbruch kirchlicher Arbeit führen. Pfarrerinnen und Pfarrer sind unersetzlich, aber gerade eben nicht in dem, was sie eigentlich ausmacht.

Wenn die Funktionäre, die es zweifellos auch in der Kirche geben muss, nicht mehr durch das theologische Personal gestellt werden könnte, dann würden ganz neue Herausforderungen auf unsere Kirche zukommen. Die Frage ist, ob das nicht geradezu wünschenswert ist und angestrebt werden sollte. Es dürften sich mit Gewissheit Personen melden und zur Verfügung stellen, die über die nötigen Qualifikationen verfügen und die entdecken, dass sie da Verantwortung übernehmen könnten und gebraucht werden. Es würde zu eine spannenden Lastenverteilung kommen, die sich belebend auf das kirchliche Geschehen auswirken dürfte. Das wird nicht der Fall sein wird, wenn die Pfarrpersonen weiterhin die Funktionärsrolle spielen. Sie bleiben weiterhin überlastet. Kaum jemand sonst wird zu motivieren sein, neben ihnen Funktions- und Leitungsaufgaben zu übernehmen, für die sie auch Rechenschaft geben müssten. 

 

Was wäre, wenn niemand dem Presbyterium angehört, der oder die nicht auch wirklich gewählt worden ist? (Fortsetzung)

 

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