Was wäre, wenn niemand dem Presbyterium angehört, der oder die nicht auch wirklich gewählt worden ist?
Pfarrerinnen und Pfarrer wirken an der Leitung der Gemeinde mit und gehören dem Presbyterium und der Kreissynode auf Grund ihres Amtes an und nicht, weil sie gewählt worden sind. In der Kreissynode sind also rund der Hälfte der der Delegierten nicht gewählt und nicht einmal delegiert. Daraus lässt sich nun nicht folgern, dass die anderen gewählt wären. Das dürfte für die wenigsten zutreffen: Nach § 23(4) der Presbyterwahlordnung „kann der Kreissynodalvorstand… dem Presbyterium gestatten, die Wahl nicht durchzuführen. Die Vorgeschlagenen gelten als gewählt.“ In diesem Fall hat kein Gemeindeglied Gelegenheit, auf die Zusammensetzung des Presbyteriums Einfluss zu nehmen. Es geht noch weiter: Nach § 33 und 34 können frei gewordene Sitze im Presbyterium durch „Kooptation“, d. h. durch eine geheime Wahl durch die Mitglieder des Presbyteriums mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Man stelle sich vor, ein Gemeinde- oder Stadtrat oder der Bundestag würde sich in einem solchen Fall selbst ergänzen – das wäre völlig undenkbar!
Undenkbar wäre im politischen Leben auch die fehlende Öffentlichkeit der parlamentarischen Zusammenkünfte, wie das bei Presbyteriumssitzungen üblich ist, auch wenn die Öffentlichkeit per Beschluss hergestellt werden kann (Art 23(3) KO). Nach Artikel 24 sind die Presbyterinnen und Presbyter „in allen Angelegenheiten, die ihnen in Ausübung ihres Amtes, insbesondere in seelsorglichen Zusammenhängen, bekannt werden, oder die ihrer Natur nach vertraulich sind oder als solche bezeichnet sind, zur Verschwiegenheit verpflichtet, auch wenn sie aus ihrem Amt ausgeschieden sind.“ Das bedeutet, dass ein Presbyterium praktisch frei entscheiden kann, was aus den Sitzungen in die Öffentlichkeit gelangen kann und was nicht. Es ist damit überhaupt kein Problem, sich in kritischen oder konfliktträchtigen Situationen gegen die Öffentlichkeit abzuschotten! In einem Leitfaden für Presbyteriumssitzungen lesen wir: „Die Mitglieder des Presbyteriums sind grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet, alle anderen sollten darauf bei Bedarf hingewiesen werden. Presbyteriumssitzungen sind anders als manche Ratssitzungen grundsätzlich nicht öffentlich, dennoch kann z.B. im Gemeindebrief, bei gottesdienstlichen Abkündigungen oder auf der Homepage von den Dingen berichtet werden, die für die übrige Gemeinde interessant und wichtig sind.“[1] Entscheidend ist hier das Wort: „kann“. Die Gemeindeöffentlichkeit „kann“ informiert werden. Sie muss es aber nicht. Das Leitungsgremium muss sich ihr nicht stellen, wenn es unbequem wird oder wenn es etwas zu verbergen gibt. Genau das ist das Problem. Die Intransparenz presbyterialer Arbeit ist damit schon in der Kirchenordnung festgeschrieben! Wenigstens sollte man meinen, dass das Presbyterium dann aber vor der Gemeindeversammlung Rechenschaft ablegen muss, so wie das in jedem eingetragenen Verein auch geschieht, wobei der Vorstand zwingend im Anschluss an Rechenschafts- und Kassenbericht per Beschluss entlastet werden muss. Nach Artikel 35 soll aber lediglich „über die Arbeit der Kirchengemeinde und über die Gesamtlage der Kirche“ – also nicht über die Arbeit des Presbyteriums! – „berichtet und beraten“ werden. Anträge kann eine Gemeindeversammlung nicht stellen, lediglich sind die Ergebnisse der Gemeindeversammlung festzuhalten und sollen im Presbyterium beraten werden, worüber in der Gemeindeöffentlichkeit dann „in geeigneter Weise“ berichtet werden soll.
Welche Auswirkungen das auf die Kirchenkreis- und landeskirchliche Ebene hat, will ich hier aus Platzgründen überspringen. Es dürfte aber jetzt schon mit Händen zu greifen sein, dass von demokratischen Verhältnissen im kirchlichen Leben wahrlich nicht die Rede sein kann. Das Erschütternde daran ist, dass dies nicht einmal beabsichtigt ist! In der Gründungsphase der Rheinischen Landeskirche hat man sich ausdrücklich vom Begriff der Demokratie distanziert. Rudolf Harney, damals Präses der Rheinischen Provinzialsynode, stellte 1946 im Zuge der Gründung der neuen Landeskirche fest:
„Wir denken in der Kirche presbyterial, nicht demokratisch. Demokratie ist kein biblischer Begriff. Damit sind wir noch nicht Feinde der Demokratie, aber
Demokratie ist ein politischer Begriff,… Wir haben Erfahrungen hinter uns, die uns gelehrt haben, wie gefährlich es ist, dem politischen Denken und Handeln Einfluss im Raum der Kirche zu
gewähren. Die Kirche hat sich eine Ordnung zu geben, die an der Schrift orientiert ist. Wir sind um des Wesens der Kirche willen abgesagte Feinde ihrer Verpolitisierung. Im politischen Raum hat
die Demokratie ihr Recht, im kirchlichen Raum nicht.“[2]
Es hatte laut Hellmut Zschoch bereits 1835 und 1923 Versuche gegeben, in der Rheinprovinz die presbyterial-synodale Ordnung zu etablieren, aber gleichwohl konnte man sich obrigkeitlichen, d. h. staatlichen und konsistorialen Einflüssen nicht ganz entziehen. Nun aber, 1946, sollte sie vollständig etabliert werden, frei von politischen Einflüssen. Man meinte, deswegen auf Begrifflichkeiten verzichten zu müssen, die im politischen Raum beheimatet sind. Man wollte, so zitiert Zschoch Stimmen auf der damaligen Synode, den erneuten „Einbruch des politischen Geistes“ als „Einfallstor der Unkirchlichkeit“ verhindern, und „politische Wahlmethoden“ nicht in den Raum der Kirche übertragen. Es ist geradezu tragisch, dass diese Abstinenz von politischer Begrifflichkeit ausgerechnet den Begriff der Demokratie trifft, da es ja gerade nicht demokratische Bestrebungen waren, die die Kirche unter staatliche und konsistoriale Bevormundung stellten. Seitdem hört mein gleichwohl in der Rheinischen Kirche immer wieder die stehende Redewendung: Wir sind ja nicht demokratisch, sondern presbyterial-synodal aufgestellt. Wenn aber „presbyterial-synodal“ nicht dasselbe „demokratisch“ sein soll, wo liegt der Unterschied? Mit Hilfe welcher Kriterien lässt sich eine presbyterial-synodale Ordnung überprüfen, die nicht auch für jede demokratische Ordnung gelten müssten? Statt von einer demokratischen von einer christokratisch begründeten – „an der Schrift orientierten“ – Ordnung zu sprechen (Zschoch, S. 14) führt auch nicht weiter: Hier werden die verschiedene Ebenen – die des Bekenntnisses (etwa im Sinne von Barmen III) und die der rechtlichen Definition – vermischt, so dass es keine klaren Kriterien gibt, mit denen man dies überprüfen könnte. Die Folge davon ist Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse. Es kann mit demokratisch sauberen Entscheidungsvorgängen nicht mehr verlässlich gerechnet werden und es ist zu vermuten, dass sich hinter der Berufung auf presbyterial-synodale Prinzipien reichlich Willkür verbirgt.
Demokratisch wäre, wenn Mitglieder von Presbyterien und Synoden wirklich gewählt würden. Da das häufig nicht der Fall ist, vertreten solche Presbyterinnen und Presbyter bzw. Synodale niemanden und niemandes Interesse. Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig. Sie müssen denen, die sie gewählt haben, nicht Rede und Antwort stehen, die gibt es ja nicht. Sie haben von niemandem einen Auftrag bekommen. Sie mussten ja niemanden überzeugen, um gewählt zu werden. Anders als Parlamentarier oder auch einfach nur Mitglieder eines Vereinsvorstandes können sie ihr Mandat von einem auf den nächsten Augenblick verlassen, und sei es, weil sie einfach keine Lust mehr haben – niemand wird sie je wieder behelligen. Und sollte ein Presbyterium tatsächlich einmal arbeitsunfähig sein, beruft der KSV dann eben einen Bevollmächtigtenausschuss ein, der sich demokratischer Legitimation erst recht nicht stellt. Mit anderen Worten: ein Großteil der Mitglieder kirchlicher rheinischer Entscheidungsgremien muss nicht wirklich Verantwortung übernehmen. Sie können sich ihr jederzeit einfach und problemlos entziehen. Es wird sich schon jemand finden lassen, der für sie einspringt, oder eben auch nicht.
Dass Menschen mit echten Kompetenzen und Fähigkeiten und mit der Ambition, ihr Können auch unter Beweis zu stellen, kaum ein Interesse daran haben, solche Ämter anzustreben, liegt auf der Hand. Wer keine echte Verantwortung übernehmen kann, der kann ich auch nichts bewirken und dem wächst auch, als berechtigtem Lohn für die Mühen, keine öffentliche Anerkennung zu. Noch gravierender ist die Frage, wie solche demokratisch ausgesprochen schwach legitimierten Gremien die Kirchenkreisvorstände und die Kirchenleitung kontrollieren wollen. Es dürfte wahrlich keine Kunst sein, diese Gremien so zu steuern, dass die nicht wirklich merken, was da vor sich geht. Wenn deren Mitglieder sich tatsächlich der Wahl stellen müssten, d. h. also auch damit rechnen müssen, nicht gewählt oder abgewählt zu werden, sähe die Sache ganz anders aus! Wenn sie Rechenschaft ablegen und Auskunft geben müssen, was sie in ihrer Zeit als Mitglied des Leitungsgremiums getan und unterlassen haben, würden sie wohl sehr viel genauer darauf schauen, was die kreis- oder landeskirchliche Leitung gerade tut, die dann nicht mehr so ohne weiteres schalten und walten könnte.
Damit sind wir aber noch nicht am Ende der Problematik angelangt. Sie verschärft sich noch einmal.
Was wäre, wenn Beschlüsse im Presbyterium nicht mehr einmütig gefasst werden müssten? (Fortsetzung)
[1] Böhlemann, Peter, Leiten im Presbyterium. Ein Leitfaden zu Vorbereitung und Durchführungen von Sitzungen im Kirchenvorstand, 2018. (https://www.ekir.de/gender/Downloads/Leiten-im-Presbyterium.pdf)
[2] Zschoch, Hellmut, Die presbyterial-synodale Ordnung, 2006, S. 5:
https://www.ekir.de/www/downloads-archiv/VortragPresbyterial-synodaleOrdnung.pdf
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