Bonhoeffer, die Religion und die Arkan-Disziplin. Oder: Warum ich Michaelsbruder wurde (1/6)

"Gott ist auf der Seite der Opfer. Auch Christus ist mitten im Schlamm. Gott ist solidarisch mit den Leidenden": Solche und ähnliche Sätze waren aus kirchlich berufenen Mündern anlässlich der rheinischen Regenkatastrophe zu hören. Die Kirche bezieht Stellung zu dem, was da passiert ist.

 

Fast täglich bietet Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland biblische Betrachtungen an, per Video, meist aus dem Englischen Garten. Auch der rheinische Präses Thorsten Latzel lässt sich da nicht lumpen. Er fährt mit dem Fahrrad durch Rheinische Kirchengemeinden, sucht dort das Gespräch, hört auf Hoffnungsgeschichten und lässt die Öffentlichkeit mit Hilfe der Medien daran teilhaben.

 

Klaus Douglass, Leiter der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung, beschreibt, was für die Zukunft der Kirche nötig ist: "Über den Glauben reden - Pfarrer:innen sollen Menschen sprachfähig machen - geschützte Räume zum Glauben-üben - Berührungspunkte mit Jesus."

 

Drei zufällige Beispiele von unüberschaubar vielen, die sichtbar machen, dass die Evangelische Kirche außerordentlich um Präsenz in der Öffentlichkeit bemüht ist. Alle drei Beispiele haben etwas gemein: Sie wollen Zustimmung bewirken. Sie setzen Einvernehmen voraus. Sie sind nicht dazu gedacht, Dialoge zu eröffnen und Kontroversen auszulösen. Wenn sie Stellung beziehen und Kritik üben, dann nur, indem sie wiedergeben, was allgemein in der Kirche Standpunkt ist und kritisch gesehen wird. Sie sind weniger missionarisch-provokativ als seelsorgerlich-bestätigend gemeint. Sie sollen über den Ton orientieren, der in der evangelischen Kirche angeschlagen wird oder werden soll.

 

Damit handelt es sich bei diesen Beispielen um religiöse Kommunikation. Religiöse Kommunikation setzt Zustimmung, Anerkennung, Einvernehmen voraus. Sie richtet sich an die Öffentlichkeit, erfährt ihren Widerhall aber von innen, also von jenen, die das vorausgesetzte Einvernehmen ausdrücklich teilen, und weniger von denen, die dies nicht tun oder sich nicht festlegen wollen. Öffentlichkeit und vorausgesetztes Einvernehmen sind nicht deckungsgleich. Damit ereignet sich die Kommunikation in dieser Gestalt, gewollt oder nicht, im Wesentlichen im binnenkirchlichen Raum. Das ist nicht zu beanstanden und niemand muss daran Anstoß nehmen.

 

Jedoch stellt sich die Frage, ob Dietrich Bonhoeffer diese Gestalt der öffentlichen kirchlichen Kommunikation im Blick hatte, als er meinte, dass die Zeitgenossen religiös nicht mehr ansprechbar seien. Sie seien vollständig am Diesseits, an der Wirklichkeit orientiert und ließen sich nicht mehr unter die Autorität irgendwelcher kirchlichen oder sonstigen metaphysischen oder moralischen Wahrheiten stellen.

 

Dabei kann es nicht darum gehen, ob die Menschen religiös sind oder nicht. Religiösität gehört zum Menschsein. Vielmehr geht es darum, ob sie religiös ansprechbar sind. Daran hatte Bonhoeffer in der Tat Zweifel. Ihm ging es dabei um die Mündigkeit seiner Zeitgenossen. Religiöse Botschaften erfordern Zustimmung, Anerkennung und die Unterordnung unter die Autorität des kirchlichen Bekenntnisses.

 

Und die anzuerkennen, verweigern sich die Zeitgenossen, die dem kirchlichen Binnenraum nicht angehören. Man kann ihnen nicht mit Religion kommen. Deswegen verhallen die Botschaften bei ihnen, die die Kirchen in den öffentlichen Raum hinein absetzen, meist ohne nachhaltig Spuren zu hinterlassen. Woran die Menschen glauben wollen oder sollen oder auch nicht, entscheiden sie selbst und unabhängig, ohne Berufung auf welche Instanz auch immer. Freiheit und Religion vertragen sich nur, wenn die Freiheit die Oberhand behält. Sonst kippt sie in Bevormundung um.

 

Die “Kommunikation des Evangeliums“, wie sie später von Ernst Lange genannt wurde, kann sich also nicht der Sprache der Religion bedienen. Sie muss eine Sprache sprechen, die das Diesseits, die tatsächliche Wirklichkeit beschreibt, also eine allgemein zugängliche, überprüfbare und nachvollziehbare menschliche Sprache, exakt jene, die Jesus Nächstenliebe nennt. Menschlichkeit wird von jedem verstanden und wahrt die Freiheit jedes Menschen. Sie verträgt sich nicht mit Bevormundung, vielmehr respektiert sie die Mündigkeit der anderen und mutet sie ihnen zu. Sie führt niemanden in Abhängigkeiten, sondern sorgt vielmehr dafür, dass sie in die Lage versetzt werden, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Das geht nur, wenn man ihnen mit Vertrauen begegnet und so ihr Vertrauen weckt. Vertrauen geht einher mit Verantwortungsbereitschaft, Misstrauen mit Verantwortungsverweigerung. Deswegen kann sich die Kommunikation des Evangeliums in diesem Sinne nur auf der Ebene persönlicher Beziehungen, von Person zu Person ereignen. Im Kern besteht sie in Vertrauen weckender Menschlichkeit. Und die ist nicht religiös. Öffentliche Verkündigung setzt dagegen bereits Einvernehmen voraus, das durch sie bestätigt und gestärkt werden soll. Das muss von denen, die es nicht teilen, als Bevormundung aufgefasst werden - was es ja auch ist. 

 

weiterlesen: 2/6

Kommentar schreiben

Kommentare: 0