Bonhoeffer, die Religion und die Arkan-Disziplin. Oder: Warum ich Michaelsbruder wurde (5/6)

Holger Pyka hat uns anempfohlen, „palliative Ekklesiologie“ zu betreiben[1]. „Die Kirche ist austherapiert. Sie wird sterben. Und nicht irgendwann in unbestimmter Zukunft, so wie alles irgendwann an ein Ende kommt, sondern in absehbarer Zeit.“ Palliative Ekklesiologie rechnet mit dem „Ende der Kirche in der uns bekannten Form“. Sie „entlastet… von der unweigerlich zum Verzweifeln führenden Suche nach dem Heiligen Gral in Form eines einzelnen Rezepts, durch das alles wieder gut wird“. Aber „sie leistet keine Sterbehilfe“. Sie „stellt die unbedingte Würde des Sterbenden in den Mittelpunkt“. Der Sterbeprozess kann sich noch lange hinziehen. Vielleicht werden wir das finale Sterben selbst nicht mehr miterleben. Es kann nicht darum gehen, einer Institution mit mehreren hunderttausend bezahlten und ungleich vielmehr ehrenamtlichen Arbeitsplätzen vorzeitig „alle Stecker zu ziehen und die Geräte abzuschalten“. Wichtig ist nur, dass die Sterbende nicht nur sterben muss, sondern auch sterben darf.

 

Mit „Kirche“ meint Pyka den „in Deutschland volkskirchlich verfassten Mainstream-Protestantismus“, und ich ergänze im Sinne der der hier angestellten Überlegungen: Mainstream-Protestantismus auf der Grundlage religiöser Kommunikation und Vormundschaft. Mit ausdrücklicher Berufung auf „Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi“ rechnet er mit einem „Wandel der kirchlichen Organisationsformen“, der „trotz aller Trauer seinen Schrecken (verliert)“. Kirche, das sind ja nicht nur Organisationsformen. Was bei allem Wandel bleibt, ist der Name Gottes, den wir anrufen, das Wort Gottes, das uns beim Namen ruft, die Bundeszeichen von Taufe und Abendmahl, die Segenszeichen. Was bleibt, sind die Erinnerungen an Martin Luther, Friedrich Schleiermacher, Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer und die übrige Wolke der Zeugen. Was bleibt ist die unglaublich faszinierende Heilige Schrift, für die es in der gesamten Menschheitsgeschichte keine Parallele gibt. Was bleibt, ist die Liturgie, das Gesangbuch, die Orgel und Johann Sebastian Bach. Was vergeht und was bleibt, hat Holger Pyka in den Schlusssätzen seiner Predigt zum Reformationsfest 2020 im Altenberger Dom[2] bildhaft zum Ausdruck gebracht:

 

Dieser Dom wird nicht ewig stehen bleiben. Irgendwann, sofern nicht der Klimawandel das Tal flutet, werden Brombeerbüsche durch die Fenster wachsen. Irgendwann wird man Amseln und Grillen und Spatzen hören, da wo heute noch die spanischen Trompeten in den Raum ragen. Irgendwann werden die Grundmauern dem Wasserdruck nicht mehr standhalten und zerbröckeln. Und keine preußischen Könige oder Politiker werden es wichtig finden, ihn wieder aufzubauen. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige, die suchen wir. Aber wenn dieser Dom nicht mehr steht, dann werden Christinnen und Christen irgendwo draußen unterwegs sein. Wir werden frieren im kalten Wind, der uns um die Ohren pfeift. Wir werden mit den anderen Vagabunden da draußen unser Brot teilen. (…) Und wir werden Gott unterwegs am Wegesrand finden. Und Christus in den zerfurchten Gesichtern um uns herum entdecken. Und wir werden, auch wenn wir ohne festes Dach über den Kopf zwischen zugigen Zeltplanen im Regen stehen - wir werden auch dann erfahren, erzählen und singen: Ein feste Burg ist unser Gott.

 

Was aber auch bleibt, ist die tiefe Durchdringung unserer kulturellen Heimat mit dem Christentum, auch mit dem Protestantismus. Mag das Ende der steuerbasierten Kirchlichkeit absehbar sein, als unsichtbare Religion (Thomas Luckmann) und als kulturelles Gedächtnis (Jan Assmann) wird sie das Christentum nicht los, weswegen ich, wohl anders als Pyka, nicht vom Ende der Volkskirche reden möchte. Was sich ändert und ändern muss, sind Organisationsformen, eben jene, die die religiöse Kommunikation und Vormundschaft zur Basis haben. Diesen Wandel müssen wir weder forcieren noch bremsen. Er geschieht von selbst und er darf das.

 

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[1] https://kirchengeschichten.blogspot.com/2020/06/austherapiert-pladoyer-fur-eine.html (gel. am 6. August 2021)

[2] https://youtu.be/r2Io8MSPTWc

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