Bevor es in Vergessenheit gerät...

Ich beklage mich ja gelegentlich, dass das Evangelische in der evangelischen Kirche kaum noch erkennbar ist (zuletzt mit Blick auf das Düsseldorfer Bürgergutachten). Bevor ganz in Vergessenheit, was "evangelisch" eigentlich ist, habe ich versucht, das so kurz und knapp wie möglich in Worte zu fassen und das zu notieren. Daraus sind immerhin 35 Sätze geworden, kürzer ging's nicht. Sie geben natürlich meine persönliche Auffassung wieder. Aber ich glaube gleichwohl, dass sie eine gemeinsame Basis beschreiben.

 

Ein solches evangelisches Christentum ist nicht auf die Kirche angewiesen, weil es selber Kirche ist. Alle, die es bewusst leben und gestalten, finden sich in ihr wieder, ob sie kirchensteuerpflichtige Mitglieder sind oder nicht. So ging es auch den ersten Christen zu neutestamentlicher Zeit. Sie haben keine Kirche gegründet. Sie haben sich in ihr vorgefunden. Zu ihrer eigenen Überraschung.

 

Das ist es, was ich für evangelisch halte:

  1. Gott hat die Welt geschaffen und sie war sehr gut (1. Mose 1,31)
  2. Er hat die Welt dem Menschen zur Bebauung und Bewahrung anvertraut (1. Mose 1,28; 2,15)
  3. Der Mensch ist in der Wahrnehmung dieses Auftrages gescheitert. Er kann sein Scheitern nicht wieder gut machen. Dadurch ist die Welt bedroht (1. Mose 3-11).
  4. Das Scheitern des Menschen führt zur Entfremdung zwischen Gott und Mensch. Beide haben sich aus dem Blick verloren.
  5. Gott findet sich damit nicht ab. Er fängt mit dem Menschen neu ein. Er ruft Abraham zum Glauben. Abraham glaubt ihm (1. Mose 12,1-4; 15,6).
  6. Gott hört auf das Schreien der Israeliten in der Sklaverei in Ägypten. Er führt sie dort heraus, durch die Wüste in ein eigenes Land (2. Mose 1-18). Im Pessach vergegenwärtigen sie sich die Befreiung Jahr für Jahr.
  7. Gott schließt am Sinai mit Israel einen Bund (2. Mose 19-20). Es soll sein Volk sein und er will ihr Gott sein.
  8. Der Kern des Bundes sind die Zehn Gebote (2. Mose 20; 5. Mose 5). Sie beschreiben, was für alle Menschen gilt.
  9. Israel hält den Bund nicht und muss das Land wieder verlassen. (1. und 2. Königsbuch). Gott hält am Bund fest und die Israeliten kehren teilweise ins Land zurück. Beides wird von den Propheten verkündet.
  10. Jesus bestätigt den Sinaibund. Er fasst ihn im Doppelgebot der Liebe zusammen (Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; Mk 12,28-34).
  11. Jesus verkündet den Anbruch der Gottesherrschaft und ruft zur Umkehr auf (Mk 1,15). Er leitet zur Achtsamkeit gegenüber den Nächsten (Nächstenliebe) an.
  12. Er wendet sich einzelnen Menschen zu. Er ruft sie zum Glauben, vergibt ihnen die Schuld und heilt sie. (Mk 1,21-34)
  13. Er ruft sie in die Nachfolge und sendet sie aus, um die Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes an seiner Statt anderen Menschen zu verkünden (Mk 1,16-20).
  14. Er wehrt sich nicht, als er am Kreuz hingerichtet wird und durchbricht die Spirale der Gewalt.
  15. Sein Tod am Kreuz macht die unüberbrückbare Trennung zwischen Gott und Mensch offensichtlich (Mk 15,34).
  16. Mit seinem Tod am Kreuz nimmt Jesus die Schuld der Menschen daran auf sich (Jes 52,13-53,12).
  17. Deswegen ist durch seinen Tod die Welt mit Gott versöhnt - die Welt, nicht nur einzelne Gläubige (2.Kor 5,19-21)
  18. Durch den Glauben wird die Versöhnung anschaulich und erlebbar. (Röm 3,21-28)
  19. Jesus wurde vom Tode auferweckt und lebt. Er ist den Aposteln und zuletzt Paulus erschienen (1.Kor 15,3-5)
  20. In der Taufe schließt Gott den Bund einseitig mit den Menschen (Jes 43,1)
  21. Er sagt ihnen mit der Taufe: du kannst dich auf mich verlassen.
  22. Aber auch: ich brauche dich.
  23. Alle Getauften sind durch die Taufe Mitglieder der Kirche und bleiben dies bis zum Lebensende.
  24. Alle Getauften sind mit der Taufe zu Priesterinnen und Priestern geweiht. Sie haben Anteil am Priestertum der Getauften. (Die Übertragung der Verantwortung etwa für den öffentlichen Gottesdienst oder die Amtshandlungen an das ordinierte Amt ist eine Frage der Kirchenordnung und nicht des Bekenntnisses.)
  25. Jesus ist mitten unter denen, die in seinem Namen Gott anrufen. Die Psalmen und das Vaterunser, Lieder und Musik geben uns dafür die Sprache.
  26. Er ist das Wort, das Gott an alle Menschen richtet und mit dem er damit die Grenzen Israels überschreitet.
  27. Er ist mitten unter denen anwesend, die beim Brotbrechen das Pessach-Mahl Jesu mit seinen Jüngern am Vorabend seines Todestages vergegenwärtigen, so wie Israel im Pessach die Befreiung aus Ägypten vergegenwärtigt.
  28. Mit dem Abendmahl bekräftigen sie den neuen Bund (1Kor 11,25).
  29. Mit der Handauflegung und der Salbung erinnern sie an die Taufe und bitten für den Einzelnen um Segen, Heilung, Versöhnung und Erneuerung (Mk 6,13; Jak 5,14).
  30. Glauben ist sich loslassen und sich auf den Weg machen; sich anvertrauen und sich anvertrauen lassen.
  31. Glauben ist Scheitern, Versöhnen, neu Anfangen.
  32. Indem wir unseren Glauben in dieser Weise miteinander teilen, gewinnt der Geist Gottes Raum, der Kirche und Glauben wachsen und Gestalt annehmen lässt.
  33. Er führt die Glaubenden und die Kirche durch die Zeiten und schafft immer wieder Neues.
  34. Er erneuert und kräftigt den Glauben und und schließlich die ganze Schöpfung. Das ist unsere Hoffnung.
  35. Am Ende werden wir uns für unser Leben verantworten, im Vertrauen auf die Versöhnung durch Kreuz und Auferstehung Christi.

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