"Evangelisch, rheinisch, zukunftsfähig" - Kommentar zum Präsesbericht 2022 und zu "E.K.I.R 2030" (2/6)

Der Widerspruch zwischen Mitgliederkirche und Volkskirche liegt im Präsesbericht offen zu tage. Latzel sagt: "Wir wollen Mitglieder-Orientierung stärken, weil unsere Kirche sich von der Basis her aufbaut. Jede und jeder Getaufte ist Glied am Leib Christi.". Spricht er von den Mitgliedern oder von den Getauften? Auch das E.K.I.R.-2030-Papier ist hier nicht klarer. Es spricht ebenfalls von Mitgliederorientierung und erwähnt "alle Getauften", um die sich zu kümmern zum Grundauftrag der Kirche gehört, und spricht auch von er "Stärkung der Verbundenheit mit den Nichtmitgliedern." Im weiteren Verlauf geht es dann aber wieder um die Mitglieder selbst, wenn auch um die, die nicht zum engeren Kreis der Gemeinde gehören. Unter dem Stichwort "Member Journey" wird eine "Mitgliederbindungs-App", "mit der die persönliche Lebensbegleitung von Mitgliedern durch Pfarrer/innen technisch unterstützt wird". Das Papier "Lobbyisten der Gottoffenheit" ist da ein wenig eindeutiger: "In naher Zukunft werden weniger als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen Mitglied einer christlichen Kirche sein. Es wird keine mehrheitlich christliche Bevölkerung mehr geben." Mit "Mitgliedern" meint diese Synodalvorlage offensichtlich nur die kirchensteuerpflichtigen Mitglieder. Wer getauft ist, aber der Kirche nicht angehört, wird nicht mehr zur "mehrheitlich christlichen Bevölkerung" gerechnet. Die Rede von der "Minderheitskirche" bezieht sich nur auf die als zahlende Mitglieder Geführten, und stellt nicht in Rechnung, dass unter denen, die der Kirche nicht angehören, ein durchaus zu differenzierendes Verhalten anzutreffen ist - wenn etwa immer wieder Betroffene davon sprechen, sie seien zwar ausgetreten, aber evangelisch, weil sie evangelisch getauft seien. "Es gibt kein selbstverständliches von der Mehrheit der Bevölkerung getragenes christliches Kirchtum mehr."

 

Das führt zu der Frage, wer zur Kirche gehört und wer nicht. "Mit der Taufe wird man Christ. Mit der Taufe wird man auch Mitglied der Kirche", stellt die Website der EKD fest, um dann fortzusetzen: "Die Taufe ist aber nicht an die Mitgliedschaft in der Kirche gebunden, sie bleibt gültig, wenn jemand aus der Kirche austritt."  Worin aber dann die Gültigkeit der Taufe besteht, bleibt unklar. "Die Taufe (begründet) die Mitgliedschaft in der Kirche", ist in der Website der EKiR zu lesen. Liturgisch wird die Taufe und, als Tauf-Erinnerung, die Konfirmation, als Eingliederung in Kirche gefeiert. Auf der anderen Seite wird dort an anderer Stelle unmissverständlich darauf hingewiesen, dass der Kirchenaustritt die - einst durch die Taufe zuerkannte - Kirchenmitgliedschaft beendet und "einem Bruch mit der evangelischen Kirche gleichkommt". Wenn aber alle, die ausgetreten sind, als solche angesehen werden, die mit der Kirche gebrochen haben, dann bedeutet das eine unmissverständlich Abwendung von ihnen und ein demonstratives Desinteresse an ihnen - so lange, bis sie wieder eintreten. So macht eine an die Getauften gewiesene Volkskirche aus sich eine Mitgliederkirche, die nur für ihre Mitglieder (und allenfalls solche, die es (wieder) werden sollen/wollen) zuständig ist. An die Stelle der Taufe als Zeichen der Mitgliedschaft tritt eine Steuer, aus einem liturgischen und bekennenden Vorgang wird ein Verwaltungsakt. Für die Betroffenen ist es ein Unterschied, sagen zu können: Ich kann jederzeit dorthin zurückkehren, weil ich ja getauft bin, oder ob sie feststellen müssen: Ich kann nicht mehr dorthin zurückkehren, weil ich ja ausgetreten bin bzw. "mit der Kirche gebrochen habe".

 

Eine Kirche, die sich als Volkskirche versteht und an die Getauften gewiesen weiß und nicht nur an die Mitglieder, muss sich anders verhalten als eine Mitgliederkirche. Während Mitgliedschaft in erster Linie organisiert wird, kommt es bei der Volkskirche entscheidend auf eine verlässliche öffentliche Präsenz an. Dazu dienen verlässlich offen stehende Kirchen, die jederzeit ohne unsichtbare Schwelle aufgesucht werden können und Gewähr für einen ungestörten Aufenthalt gewissermaßen an einem heiligen, dafür ausgesonderten Ort bieten. Dafür dienen verlässlich stattfindende und auch bei kleiner Zahl sorgfältig vorbereitete und durchgeführte Gottesdienste, die nicht gut besucht werden aber auf jeden Fall stattfinden müssen. Dazu gehört ebenso auch ein verlässlich ansprechbares und erreichbares Pfarramt, mit Pfarrerinnen und Pfarrern, die - qua Amt! - Zeit haben und keine Termindruck signalisieren müssen.

 

Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir Volkskirche oder Mitgliederkirche sind und bedenken, was das für unser Auftreten in der Öffentlichkeit bedeutet. Entscheidend ist das Signal an alle Getauften: Wir betrachten euch als zu uns gehörend, auch dann wenn ihr das anders seht - so wie Juden auch dann Juden bleiben, wenn sie Atheisten sind, sich taufen lassen oder einer anderen Religion beitreten.

 

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