Die bischöfliche Sukzession
Wenn man zeitgenössische evangelische und katholische Dogmatiken vergleichend nebeneinander legt, wird man feststellen, dass katholischen Auffassungen von der Eucharistie und evangelischen Auffassungen vom Abendmahl nicht sehr weit auseinanderliegen und eine dogmatische Konvergenz gut vorstellbar ist. Das hängt damit zusammen, dass in den letzten Jahrzehnten zunehmend der repraesentatio- bzw. Anamnesis-Charakter des Mahles in beiden Traditionen zunehmend ins Bewusstsein getreten ist, also der Charakter der Feier als Vergegenwärtigung der Christusgeschichte als (christliches) Zentrum der biblischen Geschichte. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Erinnerung, ein Gedenken, sondern um die Gegenwärtigsetzung, eine Gleichzeitigkeit zwischen Gegenwart und dem repräsentierten Geschehen. Eucharistie und Abendmahl haben diese Funktion vom Seder-Mahl des Pessachfestes übernommen: "Jede und jeder soll sich sagen: Ich selbst bin damals von Gott aus Ägypten befreit worden. Die Exoduserzählung wird mit ganz persönlichen Erfahrungen von Not und Befreiung, von Angst und Erlösung verknüpft. Ganz ähnlich erinnern sich Christen in jeder Eucharistiefeier nicht nur an das Abendmahl, an Tod und Auferstehung Jesu, sondern dies alles wird nach christlichem Glauben gegenwärtig." (Domberg-Akademie, kath. Erwachsenenbildung in Freising): https://domberg-akademie.de/pessach-beziehungsweise-ostern). Insofern liegen Sinn und Gestaltung von Eucharistie und Abendmahl nicht so ganz weit auseinander.
Warum aber beide dennoch nicht zusammenfinden, hat mit der - oben schon angedeuteten - Frage zu tun, was das Sakrament zum Sakrament macht. In evangelischer (lutherischer) Auffassung ist es der Dreiklang von Wort, Zeichen und Glaube: Durch das Wort, das der Glaube annimmt, erkennt er in dem Zeichen das Sakrament. Dieser Dreiklang ist konstitutiv; fällt eines dieser Aspekt aus, hört das Sakrament auf, ein Sakrament zu sein (was auch der Grund für die Reduktion der Anzahl der Sakramente von sieben auf zwei ist). In katholischer Sicht bedarf es des geweihten priesterlichen Amtes "als sakramentale Vergegenwärtigung der Hauptesfunktion Christi". Dieses Amt "dient… dem Aufbau der Kirche durch den Dienst an Wort und Sakramenten… Weil die Eucharistie… die sakramentale Verdichtung der Einheit der Kirche in ihren einzelnen Gliedern und mit Christus, ihrem Haupt ist, kommt gerade dem Amt der Einheit der Vorsitz in der Eucharistiefeier zu. Die Verbindung von sakramentalem Priesteramt und Eucharistierfeier… ergibt sich innerlich und organisch aus dem als Sinneinheit aufgefassten Lebensvollzug von Christus her, durch den sie ermächtigt ist, ihre Sendung zu verwirklichen." (Walter Kasper, Sein und Sendung des Priesters, in: ders., Zukunft aus dem Glauben, Mainz 1978, 85-112; zit. n. Müller, Kath. Dogmatik, 755).
Kennzeichen des geweihten Amtes ist die bischöfliche Sukzession, genauer: Die "apostolische Sukzession der Bischöfe". Sie ist "nach katholischer Auffassung… ein wirksames sakramentales Zeichen für die Einheit der Kirche mit ihrem apostolischen Ursprung und für die Einheit der Kirche in der communio ecclesiarum." (Müller, Kath. Dogmatik, 751). "Zur Apostolizität in Lehre und sakramentalem Leben gehört nach katholischer und orthodoxer Sicht auch die Herkunft des sakramentalen Bischofsamtes von den Aposteln. Die Bischöfe sind im Amt der Gemeindeleitung und der autoritativen Bezeugung der Auferstehung Nachfolger der Apostel. Das urkirchliche Apostelamt wird durch die apostolische Sukzession im Sakrament der Weihe mit der Weiterführung des Apostelkollegiums im Bischofskollegium zur historischen Einheit vermittelt und die Kirche mit einem wirksamen Zeichen ihrer apostolischen Gestalt ausgerüstet." (Müller, Kath. Dogmatik, 575)
Diese gewissermaßen sakramentale Rückbindung an das Ursprungsgeschehen, das keinen vorgeschichtlichen Mythos darstellt, sondern sich zu einer bestimmten Zeit und an bestimmten Orten ereignet hat, verdient auch von unserer Seite aus Respekt und Wertschätzung und ist keineswegs banal und gleichgültig. Durch diese Rückbindung wird gewährleistet, dass die Menschwerdung Gottes in Christus bis in unserer Tage hinein sich entfaltet bzw. dass alles, was heute durch die Kirche geschieht, darauf bezogen ist. Insofern ist die bischöfliche Sukzession ein bemerkenswertes Kennzeichen der echten Kirche.
Im selben Atemzug jedoch müssen wir festhalten, dass eine Rückkehr unter die bischöfliche Sukzession - sofern sie nicht, wie in der englischen Staatskirche oder den lutherischen Kirchen Skandinaviens gegeben ist - ausgeschlossen ist. Dies würde nämlich eine Missachtung des durch die Reformation geschaffen Amtes der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung bedeuten. Wir würden damit stillschweigend unterstellen, dass das Amt so lange nicht ganz richtig ist, solange es nicht aus der bischöflichen Sukzession erwachsen ist. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die Reformation, die nicht durch Bischöfe, sondern durch Landesherrschaften durchgeführt wurde, außerordentlich verantwortlich mit der Einrichtung des kirchlichen Amtes umgegangen ist, was sich vor allem gegenüber den Täufern, Schwärmern und Spiritualen als dringend nötig erwiesen hat. Die Confessio Augustana von 1530 legt in Artikel 14 fest, dass niemand ohne ordnungsgemäße Berufung (nisi rite vocatus) das kirchliche Amt ausübt. Dadurch ist gewährleistet, dass es auch im Bereich der evangelischen Kirchen eindeutig eine Sukzession gibt, die verhindert, dass irgendjemand das kirchliche Amt willkürlich und ohne Beauftragung an sich reißt. Es handelt sich natürlich nicht um eine bischöfliche Sukzession, man könnte sie ggf. eine presbyteriale Sukzession nennen, denn auch durch sie ist die Weitergabe und Überlieferung des Glaubens von Generation zu Generation gesichert.
Und dann darf man nicht vergessen, dass auch die evangelische Kirche das Priestertum kennt, das sie aber mit der Taufe in eins setzt, so dass jedem und jeder Getauften die priesterliche Würde zukommt. Dadurch wird ermöglicht, dass prinzipiell jeder und jede Getaufte gültig das Abendmahl feiern und das Wort verkündigen kann. Wer es dann wo tatsächlich tut, ist dann eine Frage der Kirchenordnung, nicht die einer Weihe. In einer Notsituation wie des strengen Lockdowns zu Beginn der Corona-Pandemie 2020, die keine Kirchenordnung im Blick haben konnte, die aber Gottesdienste - zumindest solche vor Ort - nicht möglich gemacht hatte, war es deswegen angemessen und in Ordnung, dass vielfach Getaufte auch ohne Anwesenheit eines oder einer Ordinierten z. B. am Gründonnerstag das Abendmahl gefeiert haben.
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