Sonntagsmeditation: Mal unter uns...

Lukas 11,5-13 - 22. Mai 2022 (Rogate), Reihe IV

 

Wir Evangelischen wissen, dass wir Menschen für die Bewahrung der Schöpfung als unserem Lebensraum verantwortlich sind (1. Mose 1,28 und 2,15).

 

Wir wissen aber auch, dass wir Menschen damit heillos überfordert sind (Psalm 14,1-3, Römer 3,9-20).

 

Unsere Frage ist, ob sich der Schöpfer von seinem Werk vielleicht doch noch nicht los sagt (Jes 2,2-4; 2. Korinther 5,19; Römer 3,28). Noch nicht? Deswegen beten wir. Oder wir versuchen es zumindest.

 

In den Siebziger-Jahren hat Karat gesungen: Uns hilft kein Gott, diese Welt zu erhalten. Heute müssten wir singen: Wenn uns kein Gott hilft, diese Welt zu erhalten, dann hilft uns keiner.

 

Die Menschen mögen sich - vielleicht aus guten Grund - von den Kirchen emanzipieren. Aber sie werden sich nicht von sich selbst emanzipieren können. Und damit nicht von Gott - oder was sie selbst jeweils an diese Stelle setzen mögen. Sie können ihn ausblenden. Aber sie werden ihn nicht los. Steile Behauptung, ich weiß. Aber wenn man sehr genau hinschaut, sehr konsequent. Wir haben uns nicht ins Leben gerufen. Wir waren es nicht, die entschieden haben, zu einer ganz bestimmten Zeit an einem ganz bestimmten Ort auf der Welt zu sein. Aber wem verdanken wir unser Dasein? Die Antwort: “Niemandem“, ist in sich widersprüchlich und scheidet aus. Aber wem dann? Wir Evangelischen identifizieren - wie alle Christen - diesen Ursprung all dessen, was ist, dem wir auch uns selbst verdanken mit dem Gott Israels. Jesus hat uns veranlasst, ihn als auch unseren Gott anzuerkennen.

 

Aber kann man mit seinem Ursprung in Kontakt treten, sich gegenseitig wahrnehmen, eine Beziehung pflegen? Braucht es dazu eine besondere Sprache? Eine bestimmte Liturgie? Eine Art meditativer Praxis? Spezielle Rituale? Bewusstes Schweigen und dergleichen mehr?

 

Was ich mich frage, ist, ob der Schöpfer noch an seinen Geschöpfen interessiert ist. Und wenn er an seinen Geschöpfen interessiert ist, ist er dann auch an mir interessiert? An mir als einzelner, individueller Person, mit meinem Namen und meiner Geschichte? Oder nur an der Gattung Mensch?

 

Darum geht es hier, bei Jesu Anmerkungen über das Bittgebet. Es geht nicht um das Gebet, das wir sprechen oder singen, sondern das ich an meinen Gott richte. Es geht um das persönliche Gespräch zwischen mir und meinem Gott, dass nur mir mich und niemanden sonst etwas angeht, in dem es um die Themen geht, die mich und niemanden sonst bewegen. Was ich mit Gott berede, geht nur mich persönlich und Gott persönlich an.

 

Nun wissen wir, das Jesus kein Freund des großen Drumherumredens ist. Komm auf den Punkt, sag was ist, was du willst, sprich es aus. Er macht es kurz. Das Vaterunser (in den vorhergehenden Versen) ist noch kürzer als im Matthäusevangelium; verglichen zu den synogagogalen Gebeten seiner Zeit fast schon Telegrammstil. Die Zehn Gebote, die sich selbst schon als Kurzfassung der Thora verstehen, fasst er noch einmal in zwei Geboten zusammen. An die Stelle der Pessach-Liturgie, die Stunden benötigt, setzt er kurz und knapp das Brot- und das Kelchwort des Abendmahls. Jesus ist kein Freund feierlicher oder liturgischer Ergüsse, er mag es ohne Umschweife und gerade heraus. Und genau so stellt er sich und den Jüngern das persönliche Gebet vor. Wir treten nicht vor Gott, indem wir uns erst den Sonntagsanzug anziehen, indem wir eine bestimmte - etwa besonders demütige oder ehrerbietige - Haltung einnehmen. "Komm, so wie du bist, komm in Lumpen, komm in Schlips", so haben wir gern als Jugendliche gesungen.

 

Menschen, die sich vertraut sind, im Freundeskreis etwa, oder weil sie zur Familie gehören, gehen, wenn sie unter sich sind, nicht höflich miteinander um. Da geht es schnoddrig, ruppig, rau-herzlich, unzensiert, manchmal auch gereizt zu - "mal unter uns gesagt..." Man muss sich nichts gegenseitig vormachen, man wird das auch nicht falsch verstehen, man kennt sich ja, weiß, wie man tickt, es muss auch nicht viel gesagt werden, das meiste ist eigentlich von selbst klar. Und genauso beschreibt Jesus das Verhältnis zwischen Gott und dem einzelnen, "im stillen Kämmerlein", wenn sie unter sich sind. Beide sind sich sehr vertraut und es gibt keinen Grund, warum sie das nicht sein sollten.

 

Sie reden über das, was einen am meisten bewegt, beschäftigt, belastet, begeistert, über die eigenen Sehnsüchte und Ängste, über Versagen und Scheitern, über die verpassten Chancen, über die Überforderungen und was einem zu viel ist. Das alles auszusprechen, beim Namen zu nennen, ohne Rücksicht auf irgendeine Etikette, ohne innere Zensur oder "Schere im Kopf", dazu ist das Gebet gedacht. Auch für den gegenseitigen Ärger, den Frust, dem man sich gegenseitig - Gott und Mensch - zufügt, die Enttäuschung, die Verbitterung, auch das schlechte Gewissen, das Gefühl des Versagens... sich auszukotzen, auszupacken und schonungslos alles beim Namen nennen, all das soll seinen Ort im Gebet haben, frei von Höflichkeitsfloskeln, ohne Angst, jemanden auf den Schlips oder auf die Füße zu treten.

 

Wenn es gut wird, dann ist das Gebet ein Gespräch. Dann wird die Antwort auf das Beten, auf welche Weise auch immer, spürbar. Dann gibt es Reaktionen. Die kann es natürlich nur geben, wenn das Beten tatsächlich stattfindet. Wir verbauen uns den Zugang zum Gebet, wenn wir erst theoretisch geklärt haben wollen, wie sich das mit der Gebetserhörung verhält. Das aber lässt sich nicht abstrakt klären. Man kann sich nur drauf einlassen oder man tut es nicht. Dass die Angst vor der ausbleibenden Gebetserhörung den Zugang zum Beten erschwert, ist gut zu verstehen - ein Gebet ohne Antwort lässt sich auch vermeiden, wenn man gar nicht damit anfängt. Das nicht erhörte Gebet gehört zur Wirklichkeit des Betens dazu. Aber auch das erhörte Gebet, denn sonst gäbe es das Christentum, die Echokammer Gottes, nicht mehr.

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