Indem wir Menschen segnen, erinnern wir sie an ihre Taufe. Gelingendes Menschsein erfordert Vertrauen und Verantwortung. Vertrauen ermöglicht Verantwortung und die Wahrnehmung von Verantwortung wiederum bewirkt Vertrauen. Ein Mensch muss wissen, worauf oder auf wen er sich verlässt, das ist Vertrauen, und er muss für andere verlässlich sein, also Verantwortung übernehmen. Fehlt eins von beiden, fehlt auch das andere und es kommt zu Misstrauen und Schuldzuweisung. Darin liegt der Sinn der Taufe. Sie sagt den Getauften, dass sie sich auf Gott verlassen können, und zugleich, dass sie berufen sind, damit andere sich auf sie verlassen können. Die Taufe ist identisch mit der Priesterweihe und wir sprechen von Priestertum der Getauften. Wir nehmen es wahr und dienen damit dem Menschen - in unserer eigenen Familie, im persönlichen Umfeld, in unsere Gemeinde, im öffentlichen Leben, im sozialen Engagement, für einzelne Menschen, in der demokratischen Mitwirkung, in Kunst und Kultur. Wir beteiligen uns auch am Diskurs über die Zukunft unseres Gemeinwesens und der ganzen Welt. Wir tragen unser Teil dazu bei, dass die Motivation zu Vertrauen und Verantwortung sich ausbreitet und dass Misstrauen und Verantwortungsverweigerung zurückgedrängt werden. Wir achten dabei darauf, was wir können, über welche Begabungen wir verfügen und kennen auch unsere Grenzen.
EINÜBUNG IN DIE TAUFERINNERUNG UND SALBUNG (Vorbemerkung: Nach Möglichkeit sollte die Einheit zum fünften Ritual in einer Kirche am Taufbecken stattfinden:)
Für den Segen, die Erinnerung an die Taufe und ihre Bekräftigung, steht zunächst das Ritual der Handauflegung bereit. Sie ist uns von der Taufe, der Konfirmation, der Trauung, der Ordination und der Seelsorge vertraut. Seit einigen Jahren ist aufgrund des Engagements von Walter Hollenweger und Rainer Stuhlmann in unserer Kirche das Ritual der Salbung als einer intensiven Form des Segnens wiederentdeckt worden. Während die Taufe ein einmaliger und nicht wiederholbarer Vorhang ist, kann die Salbung als Erinnerung an die Taufe mehrfach durchgeführt werden. Sie ist kein Sakrament, das nur von Ordinierten vollzogen wird. Sie ist Ausdruck des Gebetes um Heilung, so, wie Jesus in erster Linie nicht über die Heilung gepredigt, sondern geheilt hat. Die neu entdeckte Übung des Salbens – in der katholischen Kirche ist sie im Zusammenhang mit der Taufe und als Krankensalbung geläufig – knüpft an Markus 6,13 und Jakobus 5,14 an. Sie tritt gewissermaßen an die Stelle der leiblichen Anwesenheit der Person Jesu. Wenn dem so ist, dann ist aber das Folgende zu bedenken.
Jesus wird häufig “Christus” oder “Messias” genannt, also: “Jesus, der Gesalbte”. Von einer Salbung Jesu wird aber nirgends berichtet – wohl aber von seiner Taufe durch Johannes, den Täufer. Diese war für ihn eine zentrale Erfahrung – der Himmel öffnete sich, der Geist Gottes kam über ihn und er hörte die Stimme: Du bist mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Dieses Erlebnis während der Taufe ist ein Schlüssel, um Jesus zu verstehen. Menschen, die ihm begegneten, kamen mit Gott in Berührung und erlebten gewissermaßen den offenen Himmel. Wo das geschah, konnte man vom Anbruch des Reiches oder der Herrschaft Gottes sprechen, die mitten unter ihnen war (Lukas 17,21). Indem aber Jesus dennoch nicht “der Getaufte”, sondern “der Gesalbte” heißt, tritt er damit in die Tradition jener biblischen Menschen, die im Auftrag und in der Vollmacht Gottes handeln und in deren Handeln es Gott selbst ist, der handelt und gegenwärtig ist. Dazu gehören Könige, Propheten und Priester, die dafür gesalbt wurden. Das Ritual der Salbung weist also auf die Anwesenheit Gottes in Christus und den Anbruch seiner Herrschaft in seinem Reden und Handeln hin. Dietrich Bonhoeffer hat zwar nicht die Kirche an sich, wohl aber die um das Wort Gottes versammelte Gemeinde als “Christus, der als Gemeinde existiert” bezeichnet. Die Salbung würde auf die Anwesenheit und das Wirken des als Gemeinde existierenden “Gesalbten”, des Christus hinweisen.
Zu den Menschen, die durch Jesus mit Gott in Berührung kamen, gehören aber nicht nur die Geheilten und die, denen die Sünde vergeben wurden (z. B. Mk 2,1-12). Auch für diejenigen, die in die Nachfolge Jesu gerufen und von ihm in den Dienst genommen wurden, gehören dazu. Genauso wie die Bitte um Heilung kann mit einer Salbung auch die Berufung und Ermächtigung zu bestimmten Diensten und Aufgaben zum Ausdruck gebracht werden. Deswegen ist die Salbung dazu geeignet, die Taufe zu vergegenwärtigen und an sie zu erinnern. Das Ritual der Salbung ist das Ritual des Segnens und der Tauferinnerung.
In der Handreichung der EKiR “Salbung in Gottesdienst und Seelsorge” von 2007 und im Ergänzungsband zum Gottesdienstbuch ist sehr genau beschrieben, wie dieses Ritual durchgeführt werden kann. Das muss deswegen hier nicht wiederholt werden, stattdessen verweise ich darauf. Nach meiner Erfahrung sind aber größere Freiheiten im Blick auf die Durchführung der Salbung möglich. Die zu salbende Person muss nicht sitzen, sondern kann auch stehen – besonders dann, wenn die Salbung ausdrücklich als Tauferinnerung am Taufbecken stattfindet. Die Salbung durch Salbungs-Teams ist in einem öffentlichen Gottesdienst wichtig; geschieht sie in einer kleinen Gruppe außerhalb der Öffentlichkeit, kann sie auch gegenseitig oder durch eine Person vorgenommen werden. Da unsere Erfahrungen mit diesem alten, aber für uns sehr jungen Ritual noch nicht sehr groß sind, ist, so oder so, eine gründliche Vorbereitung dringend geboten.
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