"Auf Golgatha offenbart Jesus in seinem Sterben und Auferstehen das innerste Geheimnis Gottes. Gott ist in sich selbst nichts anderes als seine sich selbst hingebende schöpferische Liebe."
Das ist eine Zitat aus dem Rechenschaftsbericht des Präses auf der Landessynode der Rheinischen Kirche, Thorsten Latzel, vom 17. Januar 2023.
Es ist ein Satz, an dem man gut den Zustand evangelischer Verlautbarungen und Selbstdarstellungen ablesen kann.
"Gott ist in sich selbst nichts anderes als seine sich selbst hingebende schöpferische Liebe": Was für ein schöner Gott! Wer will gegen so einen wunderbaren Gott etwas haben können? Niemand wird gegen einen so großartigen Gott irgend etwas einwenden können.
Aber kaufen kann ich mir dafür nichts. Dieser Gott ist fleischlos, blutleer, abstrakt, fade. blass. Er führt zu kaum mehr als zu Allerweltsweisheiten wie diese: "Wir brauchen schlicht einen anderen Lebensstil" - einen Satz, den selbst Sloterdijk so hingekriegt hätte ("Du musst dein Leben ändern!"), für den man aber das Evangelium nicht braucht.
"Auf Golgatha offenbart Jesus in seinem Sterben und Auferstehen das innerste Geheimnis Gottes." - Wenn Jesus stirbt, gibt es nichts mehr zu offenbaren. Als er getauft wurde, hatte sich der Himmel über ihn noch geöffnet: Dies ist mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Aber jetzt ist der Himmel leer. Jesus schreit in ihn hinein: mein Gott, warum hast du mich verlassen. Und es kommt keine Antwort aus dem leeren Himmel. Jeglicher Gottesglaube ist zerbrochen. Jegliches Gottvertrauen liegt in Scherben. Gott ist tot. Und noch immer stirbt Gott Tausend Tode, jeden Tag, und es sind nicht zuletzt die Frommen, die ihn töten. Wir haben ihn getötet. Das ist nicht Nietzsche, das ist Römerbrief. Da ist keiner, der nach Gott fragt (Röm 3,11), auch deswegen, weil wir über Gott alles wissen oder zu wissen meinen, z. B. dass er nichts anderes ist als seine sich selbst hingebende schöpferische Liebe. Ganz in Feuerbach'scher Manier malen wir den Himmel mit unseren bunten Gottesbildchen voll, "ja, Gott hat alle Kinder lieb, jedes Kind in jedem Land, er kennt alle unsre Namen, alle unsre Namen und hält uns alle, alle in der Hand" (ein Lied aus dem Schulgottesdienst) und spüren zur selben Zeit, wie die Schöpfung dem Schöpfer zu entgleiten droht. Steht er nun zu seiner Schöpfung? Und zu seinen Geschöpfen? Oder hat er sie und uns inzwischen doch aufgegeben? Da breitet sich kalte Angst aus.
Und Latzel sagt dazu: "Kollektive Angst ist hochgefährlich, gerade für eine demokratische, offene Gesellschaft. Sie frisst nicht nur die Seele des Einzelnen auf, sondern auch die Seele einer Gesellschaft, der Demokratie."
Dem "Reich der Angst" setzt er das Reich Gottes entgegen. Just in dem Moment, in dem wir meinen, wir könnten aufatmen, weil Gott offenbar doch noch eingreift und sein Reich anbricht…
…übersetzt Latzel das Reich Gottes in "Tu-Wörter"! Es hängt alles nicht an Gott, sondern an uns: "In Tu-Wörter übersetzt heißt Reich Gottes: einander annehmen, teilen, versöhnen, heilen, befreien. Dazu gehört auch, sich wie Jesus auf den Weg zu machen und mit den Mächten dieser Welt zu streiten."
Wir nehmen einander an, wir teilen, wir versöhnen, wir heilen, wir befreien, wir streiten mit den Mächten dieser Welt. Wir brauchen Gott gar nicht mehr. Wir machen es selbst. Wir brauchen kein Evangelium mehr. Nur ein bisschen guten Willen.
Wenn das mal gut geht!
Unter solchen Umständen muss einen nichts mehr wundern. Weiß Latzel eigentlich, wie sehr die Gemeinden sich selbst genug und mit sich selbst beschäftigt sind? Dass sie faktisch keine Außenwirkung oder Ausstrahlung haben? Dass kein Mensch mehr weiß, welche Botschaft die Kirche hat? Was mit "evangelisch" gemeint ist? Dass keine Faszination mehr von der Kirche ausgeht (nur wir selbst tun noch so, als seien wir fasziniert)? Dass wir in der Stadt immer wieder zu hören bekommen: "Ach, die Gemeinde… die ist doch tot."
Wenn das Evangelium zu gutem Willen verdünnt wird, wird die Evangelische Kirche nicht mehr gebraucht. Guter Wille findet sich überall.
Nur: Der gute Wille wird nicht reichen. Es geht nicht mehr ums Wollen. Sondern ums Müssen. Und ums nicht mehr Können. Wenn Gott nicht eingreift, sind wir verloren. Wir sind völlig überfordert. Wir sind am Ende. Unsere Welt ist am Ende. Wenn wir die Welt nicht mehr retten können, steht Gott noch zur seiner Schöpfung, zu uns? Zu seinem Wort?
Die Geschichte geht ja noch weiter: Da sind die verstörten, verbitterten, verletzten Frauen und Männer um Jesus, deren Glaube in Trümmern liegt und deren Vertrauen zusammengebrochen ist und die nur noch, völlig desillusioniert und zynisch, misstrauisch und hasserfüllt ihr Leben fristen. Sie werden sich hüten, noch irgendwas davon zu erwarten. Sie würden ja wieder bitter enttäuscht werden.
Und dann, völlig unerwartet und überraschend, breitet sich unter den Zusammengebrochenen eine Hoffnung aus. Sie erweist sich als Kettenreaktion, die nicht mehr zu stoppen ist: " Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat."
Das ist das Evangelium. "Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Gnade und Treue willen! Warum sollen die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott? Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will… Ihre Götzen aber… haben einen Mund und reden nicht, sie haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht, sie haben Nasen und riechen nicht, sie haben Hände und greifen nicht, Füße haben sie und gehen nicht, und kein Laut kommt aus ihrer Kehle… Die ihr den Herrn fürchtet, hoffet auf den Herrn! Er ist ihre Hilfe und Schild. Der Herr denkt an uns und segnet uns; er segnet das Haus Israel, er segnet das Haus Aaron. Er segnet, die den Herrn fürchten, die Kleinen und die Großen… Nicht die Toten loben den Herrn, keiner, der hinunterfährt in die Stille; wir aber, wir loben den Herrn von nun an bis in Ewigkeit." (Verse aus Ps 115, Luther2017).
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