Übungen zur Entdeckung der eigenen Berufung und wie man sich an die Taufe erinnert

Der fünfte Satz der Geistlichen Regel ist (auch in der Fassung des Berneuchener Dienstes) unbefriedigend. In ihm wird die Verantwortung angesprochen, die jeder Mensch in seinem Lebensumfeld hat und wahrnehmen soll. Das ist aber mehr in Kennzeichen des Menschlichen und weniger eins des Christlichen. Hier wäre der Ort gewesen, um auf die Taufe zu sprechen zu kommen, die aber in dieser Regel nicht thematisiert wird und deren Bedeutung für die Gestaltung des geistlichen Lebens deswegen nicht zur Sprache kommen kann. Dieses Versäumnis teilt sie mit dem anderen für die evangelische Kirche bedeutsamen Text dieser Jahre, der Barmer Theologischen Erklärung (1934). Auch sie hat die Taufe nicht erwähnt, die wohl dort in der 2. These, in der es um “Zuspruch und Anspruch” geht, hätte genannt werden müssen. Ursache dafür ist wohl, dass die Taufe durch die Kindertaufpraxis nur selten im Gemeindeleben und im Vollzug des Glaubens in Erscheinung tritt. Die Bedeutung der Taufe bzw. des Getauftseins tritt daher nur selten ins Bewusstsein. Dass mit der Taufe das Fundament für die christliche Existenz und ein Leben im Glauben gelegt wird und diese im Kern Entfaltung der Taufe sind, bleibt weitgehend unsichtbar.

 

Vorbild und Grundmuster der Taufe ist die Taufe Jesu selbst. Während seiner Taufe, so berichten die Evangelien, öffnete sich der Himmel über ihm und er hört die Worte: Du bist mein Sohn, an dir habe ich Gefallen. Jesus wusste von da an, dass er sich absolut auf Gott verlassen konnte, und er erfuhr die unmittelbare Nähe Gottes. Zugleich begann mit der Taufe sein Weg in die Öffentlichkeit und seine Predigt des kommenden Gottesreiches. Seine Taufe war, wie jede Berufung in den biblischen Geschichten, zum einen die Zusage der unverbrüchlichen Treue Gottes zum Berufenen, zum anderen seine Sendung und Beauftragung. Nach der Taufe zieht sich Jesus zunächst in die Wüste zurück, dann aber beginnt er seinen Weg in die Öffentlichkeit mit der Ankündigung des kommenden Reiches Gottes, der zeichenhaften Heilung und Vergebung, den Tischgemeinschaften, der Berufung in die Nachfolge und der Auseinandersetzung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten.

 

Dieses Erlebnis während der Taufe ist ein Schlüssel, um Jesus zu verstehen. Menschen, die ihm begegneten, kamen mit Gott in Berührung und erlebten gewissermaßen den offenen Himmel. Wo das geschah, konnte man vom Anbruch des Reiches oder der Herrschaft Gottes sprechen, die mitten unter ihnen war (Lukas 17,21). Indem aber Jesus dennoch nicht “der Getaufte”, sondern “der Gesalbte” heißt, tritt er damit in die Tradition jener biblischen Menschen, die im Auftrag und in der Vollmacht Gottes handeln und in deren Handeln es Gott selbst ist, der handelt und gegenwärtig ist. Dazu gehören Könige, Propheten und Priester, die dafür gesalbt wurden. Im Neuen Testament wird die Salbung als Gebet um Dämonenaustreibung und Heilung erwähnt (Mk 6,13; Jak 5,14). Das Ritual der Salbung weist also auf die Anwesenheit Christus mitten unter uns (vgl. Mt 18,20), die Anwesenheit Gottes in Christus und den Anbruch seiner Herrschaft in seinem Reden und Handeln hin. Dietrich Bonhoeffer hat zwar nicht die Kirche an sich, wohl aber die um das Wort Gottes versammelte Gemeinde als “Christus, der als Gemeinde existiert” bezeichnet. Die Salbung würde auf die Anwesenheit und das Wirken des als Gemeinde existierenden “Gesalbten”, des Christus hinweisen.  

 

Zu den Menschen, die durch Jesus mit Gott in Berührung kamen, gehören aber nicht nur die Geheilten und die, denen die Sünde vergeben wurden (z. B. Mk 2,1-12), sondern auch diejenigen, die in die Nachfolge Jesu gerufen und von ihm in den Dienst genommen wurden. Genauso wie die Bitte um Heilung kann mit einer Salbung auch die Berufung und Ermächtigung zu bestimmten Diensten und Aufgaben zum Ausdruck gebracht werden. Deswegen ist die Salbung dazu geeignet, die Taufe zu vergegenwärtigen und an sie zu erinnern. Das Ritual der Salbung ist das Ritual des Segnens und der Tauferinnerung. Durch die Salbung wird der heilende, versöhnende, in der Nachfolge rufende und sendende Jesus Christus vergegenwärtigt; es ist, als sei der Gesalbte durch den Vollzug Salbung selbst mitten unter uns. 

 

In der Handreichung der EKiR Salbung in Gottesdienst und Seelsorge von 2007 und im Ergänzungsband zum Gottesdienstbuch ist sehr genau beschrieben, wie dieses Ritual durchgeführt werden kann. Das muss deswegen hier nicht wiederholt werden, stattdessen verweise ich darauf. Nach meiner Erfahrung sind aber größere Freiheiten im Blick auf die Durchführung der Salbung möglich. Die zu salbende Person muss nicht sitzen, sondern kann auch stehen – besonders dann, wenn die Salbung ausdrücklich als Tauferinnerung am Taufbecken stattfindet. Die Salbung durch Salbungs-Teams ist in einem öffentlichen Gottesdienst wichtig; geschieht sie in einer kleinen Gruppe außerhalb der Öffentlichkeit, kann sie auch gegenseitig oder durch eine Person vorgenommen werden. Da unsere Erfahrungen mit diesem alten, aber für uns sehr jungen Ritual noch nicht sehr groß sind, ist, so oder so, eine gründliche Vorbereitung dringend geboten.

 

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