Frieden oder Freiheit?

Wir erleben gerade, wie die Freiheit anfängt, unter Druck und in den Zangengriff zwischen AfD und Wagenknecht zu geraten (zur Freude des Kreml). Wir erleben, wie viele Menschen bereitwillig die Freiheit preisgeben und sich den starken, bevormundenden Staat,  der ihnen vermeintlich Sicherheit und Geborgenheit gewährt, herbeisehnen. So etwas hatten wir, es ist noch keine 100 Jahre her, schon einmal. Freiheit dagegen ist anstrengend und sie stellt jeden Tag vor neue Herausforderungen. Freiheit stellt sich nicht von selbst ein und wenn sie da ist, ist das alles andere als selbstverständlich. Sie kostet Blut, Schweiß und Tränen. Sie muss verteidigt werden. Das ist anstrengend, und manchmal geht es über die Kräfte. Aber es gibt keine Alternative. Ilko-Sascha Kowalczuk hat Recht, wenn er in seinem Buch "Freiheitsschock" schreibt: "Es geht auch um die Priorität: Frieden oder Freiheit. Viele beantworten diese Frage mit dem Dictum, Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Ich widerspreche und entgegne: Freiheit ist alles und ohne Freiheit ist alles andere, auch der dann sogenannte Frieden, nichts" (dort Seite 155).

 

Und nun zeigt sich, wie fatal es war, dass wir in den Kirchen den Frieden wie eine Monstranz vor uns hergetragen haben und zugleich kaum ein Interesse an der Frage nach der Freiheit hatten. Als der Irak-Krieg begann, hatten wir von unserem Kirchturm eine Fahne mit der Aufschrift gehängt: Krieg darf um Gottes Willen nicht sein. Ich habe damals mit ganzem Herzen dahinter gestanden und tue das auch heute noch. Damals waren die Dinge sehr klar und wir wären nicht in der Lage gewesen zu sehen, dass Friede auch eine Lüge sein kann, so, wie wir es jetzt erleben. "Denn sie gieren alle, Klein und Groß, nach unrechtem Gewinn, und Propheten und Priester gehen alle mit Lüge um und heilen den Schaden meines dieses Volks nur obenhin, indem sie sagen: »Friede! Friede!«, und ist doch nicht Friede" (Jer 6,13-14).

 

Es rächt sich nun, dass wir in der Kirche alles auf den Frieden setzen und die Freiheit nur untergeordnet und nur selten eine Rolle spielten. Die Freiheit aber gehört ins Herz des Evangeliums:  "Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen", lesen wir im Jesajabuch (61,1) und Jesus hat sich dieses Wort zu eigen gemacht (Lk 4,18). "Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen", lässt der Evangelist Johannes Jesus sagen (Joh 8,32). Paulus spricht von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm 8,21), sie sind zur Freiheit befreit und berufen und sollen sich nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen lassen (Gal 5,1.13), denn wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit (2Kor 3,17).

 

Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, welchen zentralen Stellenwert die Freiheit in der Verkündigung und im Leben der Kirche hat! Es geht im Evangelium um nicht weniger als die Verwirklichung von Freiheit. Freiheit aber ist nicht nur Geschenk, sie ist auch Zumutung, weil sie nach Verantwortung verlangt und ohne Verantwortung eben nicht zu verwirklichen ist. Aber wir Menschen in der Kirche scheuen uns, das laut auszusprechen, weil wir die Leute nicht verschrecken wollen. Mit dem Ergebnis, dass wir ihnen nicht wirklich etwas zu sagen haben und die Menschen nicht so recht verstehen, was wir eigentlich wollen, was der Grund ist, warum wir zunehmend an Einfluss verlieren.

 

Nicht die Freiheit, sondern der Frieden ist normaler Weise das Hauptthema der kirchlichen Verlautbarung. Aber der Friede kann zur Lüge werden und er wird es auf jeden Fall, wenn er auf Kosten der Freiheit geht. Um die Freiheit zu verkünden, müssten wir die auch konsequent leben. Aber schon die katholische Hierarchie und der evangelische Zentralismus verhindern ein ausgeprägtes Interesse an der Zumutung von Freiheit. Sich hinter die Bischöfe zu scharen und den Kirchenleitungen unterzuordnen ist bequemer und risikofreier.

 

Aber es muss nicht so bleiben. Jetzt, wo an vielen Orten die Freiheit unter Druck gerät, jetzt ist die Zeit, das zu werden, was die Kirche von Anfang an war, nämlich Anwalt der Freiheit, und ein Ort, die Freiheit vor Ort und am eigenen Leib zu erproben.

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