(3) Die Geschichte der evangelischen Freiheit

"Damit wir uns einen Namen machen", so hieß es wenige Verse vorher. "Ich will dich segnen und dir einen großen Namen machen", lesen wir in der sich hier anschließenden Gegen-Geschichte zur Turmbau-Geschichte zu Beginn des 12. Kapitels. Bevor wir aber dazu kommen, müssen wir vorher noch eine wichtige Unterscheidung vornehmen, nämlich die zwischen Wahrheit und Gewissheit. Denn die evangelische Freiheit - wir setzen hier voraus, dass wir ihr schon in der Bibel begegnen - setzt nicht zwingend die Wahrheit voraus, wohl aber Gewissheit. Es ist ein Unterschied, ob ein Sachverhalt wahr ist oder gewiss. Wenn er wahr ist, dann ist er für alle wahr, aber gewiss kann etwas nur für mich sein. Die Wahrheit ist gegeben, unabghängig davon, wie ich darüber denke, aber die - wie gesagt, nur für mich geltende - Gewissheit hängt hängt davon ab. Ein kleiner Säugling in den Armen seiner Mutter interessiert sich nicht für die Wahrheit, es hat (bzw braucht) aber Gewissheit, dass er geliebt, sicher und geborgen ist, um das  Urvertrauen zum Leben entfalten zu können. Jeder Mensch braucht und sucht nach Gewissheit. Ich kann mich nur frei bewegen, wenn ich festen Boden unter den Füßen habe. Die Wahrheit muss kommunizierbar sein, sie ist Gegenstand der Vernunft und der Erkenntnis, die allgemein ist, es bedarf der Einigkeit darüber, was wahr ist, über die Wahrheit kann es keine Meinungsverschiedenheiten geben, und wenn es sie gibt, müssen diese geklärt werden. Über das, was gewiss ist, kann und muss ich mir selber klar werden. Ein Gerichtsverfahren dient dazu, die Wahrheit zu ermitteln. Gewissheiten (etwa von Zeugen, die sich eines Sachverhaltes gewiss sind) reichen dafür nicht hin, zumal sich Gewissheiten widersprechen können, die Beteiligten können sich unterschiedlicher und sich widersprechende Sachverhalte gewiss sein, Gewissheit kann auf Ungewissheit stoßen, und die im Urteil festgestellte Wahrheit muss nicht zwingend Gewissheit hervorrufen. Aber die Freiheit braucht Gewissheit und ohne sie kann es keine Freiheit geben. Die Begegnung mit Jesus - siehe oben - hat Menschen befreit und diese Befreiung hat Vertrauen geweckt und Gewissheit und damit Freiheit geschaffen. An die Stelle der Zwänge, die das Leben bis dahin beherrscht haben, tritt die Fähigkeit, das eigene Leben selbstbestimmt zu führen. Das genau ist Freiheit. Das Gewissen, nach dem sich ein Mensch - was ihm die Freiheit ermöglicht - in seiner Lebensführung richten soll, leitet sich von der Gewissheit ab, nicht von der Wahrheit.

 

Der Turm von Babel ist Ausdruck von Ungewissheit. Dass der Himmel nicht zugänglich ist, verunsichert und sorgt für Ungewissheit. Die Ungewissheit führt hier zum Versuch der Selbstbehauptung und zur Nötigung, sich selbst einen Namen zu machen. Das verhindert die Freiheit und verursacht Zwänge, Konflikte, Machtkämpfe und Unterdrückung (und in der Turmbau-Geschichte am Ende die gefürchtete Zerstreuung). In der Gegen-Geschichte dazu, der von Abrahams Berufung, geht es nicht um Wahrheit, sondern um Gewissheit. Aber können wir dieser Geschichte entnehmen, wie Gewissheit entsteht und wie es dazu kommt?

 

1.Mose 12,1-4

 

Wie wichtig der Name ist, lässt sich in Psalm 72,17 ablesen, wo vom Namen des Königs die Rede ist: Wo der Name "ewig bleibt" und "blüht", befindet sich eine Zone des Segens. Das ist für die Nachgeborenen gewissermaßen wichtiger als für Abraham selbst, geht es doch um Zeiten, in denen Abraham nicht mehr leben wird. Die Segenszusage an Abraham gilt ihm nicht (nur) persönlich, sondern seiner Nachkommenschaft und dem Volk, das von ihm kommen wird. Dass das, was Gott dem Abraham verspricht, gewiss ist, dass es sich später erfüllt hat, darauf wird im Alten Testament mehrfach hingewiesen, so etwa in Jos 21,45: Es war nichts dahingefallen von all dem guten Wort, das der HERR dem Hause Israel verkündigt hatte. Es war alles gekommen, ähnlich in Jos 23,14 und 1Kön 8,56. Die Geschichte Israels beginnt mit dieser Gewissheit. Andere Völker in Israels Nachbarschaft lassen ihre Geschichte in mythischer Vorzeit beginnen, sie werden mit der Welt erschaffen. Aber in der Urgeschichte 1. Mose 1-11 ist von Israel noch nicht die Rede. Seine Geschichte beginnt mit diesem Wort an Abraham: Ich will dich zum großen Volk machen und dir einen großen Namen. Das Wort ergeht an Abraham als einzelne, einzige Person. Wir erfahren nicht, wie Gott mit Abraham gesprochen hat. War's ein Traum, eine Vision, eine innere Klarheit? Woher weiß Abraham, dass es Gott war, der mit ihm gesprochen hat? Hätte er nicht auch in Erwägung ziehen muss, dass er selbst sich so etwas sagt? Muss man nicht darauf gefasst sein, dass es sich um Einbildung handelt - was zur Folge hätte, dass die Geschichte Israels und damit die gesamte biblische Geschichte mit eine Einbildung begänne. Was macht die Gewissheit so gewiss? Ist Gewissheit nicht auch gefährdet, kann sie nicht auch, von einem auf den anderen Augenblick, in Ungewissheit umschlagen?

 

Das kann es nicht nur - das tut es auch immer wieder - und dass das schon Abraham selbst betrifft, werden wir gleich noch sehen. Auf der anderen Seite ist Gewissheit kein Luxusartikel, sondern Grundnahrungsmittel. Jeder Mensch ist auf Gewissheit angewiesen, und nur auf Gewissheit lässt sich ein Leben aufbauen, lässt sich Freiheit in Anspruch nehmen. Darüber hinaus gehört zur Gewissheit, dass sie sich anderen mitteilt. Dass sich Abraham mit seiner Familie, seinen Verwandten, seinen Knechten und Mägden und den vielen Tieren auf dem Weg macht, wäre nicht auf Grund seiner patriarchalischen Autorität als Familienoberhaupt möglich. Dann wäre er irgendwann als Tyrann empfunden worden, hätten die anderen nicht verstanden, warum sie aufbrechen sollen, und das wäre in der Erzählung gewiss nicht übergangen worden. Davon ist aber keine Rede. Offenbar haben alle, die dazugehörten, die Gewissheit geteilt. Abraham hat sie ausgestrahlt, er hat seine Familie und seine Sippe gewissermaßen damit angesteckt, so dass der Aufbruch und der Weg für sie alle in sich schlüssig war. Sie wurden nicht gezwungen, sie hatten vielmehr das Vertrauen und die tiefe Überzeugung, auf einem guten Weg zu sein. Dass diese Geschichte, bevor sie endlich aufgeschrieben wurde und in der schriftlichen Fassung bis auf uns gekommen ist, von Generation zu Generation weitererzählt worden ist, macht deutlich, dass diese Gewissheit von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Auch die Nachgeborenen, die Abraham selbst als Lebenden nicht mehr kennengelernt hatten, teilten sie.

 

Bevor wir darauf achten, dass schon bei Abraham die Gewissheit gefährdet war und in Ungewissheit umzuschlagen drohte, schauen wir darauf, wohin die Reise ging, auf die sie sich begeben hatten.

 

(4) Die Geschichte der evangelischen Freiheit (in Arbeit) 

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